Der Tod und die Feder

Neben der Corona-Pandemie hat sich in den letzten Jahren wieder ein anderes tödliches Virus über unsere Welt verbreitet – die Vogelgrippe. Mittlerweile sind die Ausmaße so verheerend, dass Wissenschaftler*innen von Gefahren für ganze Ökosysteme sprechen, denn die Viren verändern sich, befallen mehr Tiere und verbreiten sich auch zusehends unter Säugetieren. Ein potenzieller Brandbeschleuniger dabei ist die Massentierhaltung.

Vögel haben auf diesem Planeten schon Globalisierung betrieben, da dachten die Vorfahren des modernen Menschen noch nicht mal über längere Wanderungen nach. Zugvögel umspannen den Globus mit Netzen aus Flugrouten und beeinflussen, stabilisieren und verbinden die Ökosysteme verschiedenster Regionen. Die Leistungen, die die Tiere dabei vollbringen, sind erstaunlicher als alles, was wir Menschen jemals technologisch zustande gebracht haben. Eine kleines, wenige Gramm schweres Lebewesen mit Federn und Hohlknochen wie der Gartenrotschwanz nimmt für sein Winterquartier in den Subsaharazonen Flugrouten von bis zu 8000 Kilometern in Kauf – und ist damit bei Weitem nicht Rekordhalter im Fernfliegen. Im Brut- wie Überwinterungsgebiet sind Vögel Teile ihrer dortigen Umwelt und tragen massiv zur Biodiversität bei, sie sind Teil des jeweiligen ökologischen Systems.
Umso dramatischer wird es, wenn diese ‚Lieferketten‘ brechen, der Austausch gestört wird oder Krankheitserreger vom einen Ort zum anderen getragen werden. Weltweit grassieren seit einigen Jahren wieder verschiedenste Typen der sogenannten Vogelgrippe, einem aggressiven Influenza-Virus, dass besonders Wasservögel befällt und in der Regel nach wenigen Tagen zum Tod der Tiere führt. Die Viren verbreiten sich über Kot und Fleisch der Tiere in der Umwelt. Seit den ersten größer beschriebenen Ausbrüchen in den späten 1990ern gilt die Vogelgrippe als die größte und bedrohlichste Seuche, die je im Tierreich beobachtet wurde. Denn das Virus bleibt nicht auf Vögel beschränkt, es bezieht alle direkt oder indirekt in Verbindung mit Vögeln stehenden Lebewesen mit ein, Fressfeinde, Beutetiere, Standortnachbarn. Das aktuell grassierende Virus H5N1 betrifft zum Beispiel auch Robben, Delphine, Bären oder Katzen. In Peru allein sind in den letzten Monaten 600 Seelöwen verendet, nachdem sie infizierte Vögel gefressen hatten. Es scheint daher verständlich, dass der Begriff „Vogelgrippe“ zu harmlos klingt, er beschreibt zwar die Herkunft aus dem Influenza-Bereich, jedoch nicht die Dramatik des Verlaufs dieser Krankheit. Der zeitgleich benutzte Begriff „Geflügelpest“ sollte hier schon für deutlichere Assoziationen sorgen.

Die Geflügelpest steht seit ihrer erstmaligen Beschreibung auch immer wieder mit der Tierzucht, insbesondere aber der Massentierhaltung in Verbindung. Millionenfach gekeulte Enten, Gänse und Hühner zieren nach einem Ausbruch die Bilder in den Medien, kurz ist die Aufregung, und ohne großen Nachhall. Dass die Tiere in den Mastbetrieben unter katastrophalen Bedingungen gehalten werden, sie auf schnellen Massezuwachs gezüchtet werden und dadurch kaum natürliche Immunsysteme aufbauen können, ist alles bekannt. Die Enge in den Ställen sind Krankheitsherde, der Stress, dem die Tiere ausgesetzt sind, tut sein Übriges dazu. Trifft dann ein aggressiver Erreger auch nur ein Tier, ist es im Grunde zu spät. Es gibt in Deutschland dazu auch keine nachhaltigen Konzepte für die Geflügelzucht, die sich unter anderem mit Impfungen oder besseren Hygienemaßnahmen auseinandersetzt, wie unter anderem die Albert-Schweizer-Stiftung bemängelt. Solche Konzepte sind weder politisch noch ökonomisch gewollt, denn sie würden eine Verteuerung der Produkte mit sich ziehen – billiges Fleisch ist neben Bier und Rasen auf der Autobahn so etwas wie der heilige Gral in diesem Land.
Neben diesen Fakten, die uns zeigen, was in unserem Konsumverhalten schief läuft – dass aus vergangenen Fehlern nicht gelernt wurde und wir Menschen lieber mit Scheuklappen durch unser Wegwerf-Egoismus-Leben laufen wollen – offenbart es aber auch eine zutiefst asoziale Tendenz unter uns Menschen: Denn auch die Bedingungen für viele der Arbeitenden in den Schlachtbetrieben sind katastrophal, auch das ist alles seit Jahrzehnten zigfach belegt. Nach wie vor töten dort jeden Tag Lebewesen Hunderte andere, und zwar nicht zum eigenen Überleben, sondern im Dienste einer Industrie. Man braucht kein Psychologie-Studium, um sich vorzustellen, was diese alltäglichen Mordszenen mit dem Gemüt eines Menschen machen. Dass sich meist migrantische Leiharbeiter die Finger in solchen Betrieben schmutzig machen müssen, ist eine zusätzliche Komponente – daran wird auch das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz vermutlich wenig ändern.

Solch ein Umfeld ist ein Paradies für einen viralen Erreger. Was die Wissenschaft verstärkter umtreibt, ist das Übertreten der Artengrenze, im Fall der Vogelgrippe um die mögliche folgende Ansteckung von Säugetier zu Säugetier. Der aktuellste Fall ist der Ausbruch von H5N1 auf einer Nerzfarm in Carral in Spanien. Hier hatte es keinen direkten Kontakt mit infizierten Vögeln gegeben, dass Virus musste also indirekt über Kot oder auf anderem Weg in die Tiere gelangt sein. Die Krankheit verbreitete sich rasend schnell, alle 51.986 Tiere der Farm wurden ‚vorsorglich‘ getötet. Forschende konnten nachweisen, dass sich eine neue Mutation im Virus gebildet hat, die den Sprung von Vögeln zum Säugetier erleichtert.
Das Virenstämme der Vogelgrippe auch den Menschen befallen können, ist nachgewiesen. Die relativ geringen Fallzahlen der letzten zwanzig Jahre sind Segen und Fluch zugleich: Es gibt es zwar eine verhältnismäßig hohe Sterberate, wenn man auf die knapp 2600 Fälle seit 2003 zurückblickt – diese liegt bei über 40 Prozent. Allerdings ist die Dunkelziffer der symptomlosen, harmlos verlaufenen und nicht gemeldeten vermuteten Ansteckungen sehr viel höher, was wiederum die Mortalität entsprechend absinken lassen würde.
Dies schafft aber ein Problem anderer Art, wie wir es im Umgang mit der Corona-Pandemie in Teilen auch schon beobachten durften: Sorglosigkeit, denn das Virus ist schlicht und ergreifend nicht gefährlich genug. Da es sich bei der Geflügelpest dann bislang auch ’nur‘ um eine akute Gefahr für die Tierwelt handelt, dürfte diese aktuelle Panzootie (eine Pandemie unter Tieren), die über unsere Ökosysteme hereinbricht, kaum jemanden mehr interessieren, als ein bis zwei Artikel zu dem Thema zu lesen.

Wie immer fehlt uns Menschen die Fähigkeit zur Abstraktion: Wir können und wollen uns nicht vorstellen, was außerhalb unseres gewohnten Alltagserlebens geschieht: Ökologisches Massensterben, das kann ja entweder nur Erdgeschichte sein oder Science Fiction, aber keinesfalls gegenwärtige Realität.

Es passiert aber.
Jetzt. Hier.

Kürzlich am Rhein zwischen Mainz und Wiesbaden
Oder Mitte Februar am Bodensee.
In China starb eine Frau an der weltweit grassierenden Virusvariante, in Kambodscha Ende Februar ein 11-jähriges Mädchen an einer lokalen Variante.

Solche Vorfälle können wir nur mit konsequenterem Klimaschutz lösen: Den Vögeln ihre Wanderungen erleichtern, Schutzzonen ausweiten, nächtliche Lichtverschmutzung verringern, die die Tiere auf ihren Wanderungen fehlleitet. Und im Konsumverhalten sollten wir mehr darauf achten, wie Tiere im Allgemeinen gehalten und behandelt werden, damit die Zucht- und Schlachtbetriebe nicht noch mehr Öl ins Feuer dieser Seuche gießen.
Passieren wird aber vermutlich gar nichts, denn es sind ja nur ein paar Vögel. Wenn das Virus dann, beschleunigt durch Umweltzerstörung und Massentierhaltung, doch auf den Menschen überspringen sollte, wird das Geschrei dann vermutlich wieder groß sein und niemand will etwas gewusst haben …

Welche Auswirkungen dieses globale Phänomen in den nächsten paar Wochen, Monaten und Jahren auf unsere Ökosysteme, auf das System Erde haben wird, ist nicht abzusehen – allem Anschein nach treibt sich gerade ein weiterer Sargnagel in unsere globale Stabilität.
Und wir haben wie immer kräftig mit draufgehauen.

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