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Credit: pexels/Element5

Geht das schief?

Europawahl, Landtagswahl, US-Wahl. Die westliche Welt erlebt 2024 eine politische Zäsur: Das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg vollziehen sich innerhalb kürzester Zeit in wichtigen politischen Zentren extreme Verschiebungen nach Rechts. Sei es durch den direkten Wahlsieg von rechten Parteien oder, durch den Druck rechter Populisten, die Verschiebung des politischen Diskurses zu mehr Autoritarismus und Nationalismus. Brandmauern scheinen Lippenbekenntnisse. Was passiert hier?

Nach der Europawahl steht Manfred Weber, Präsident der Europäischen Volkspartei EVP, grinsend und triumphierend vor den Kameras. Die EVP hat gerade, seiner Ansicht nach, die Wahl zum Europa-Parlament gewonnen. Es redet von links-ökologischer Identitätspolitik, die den Erfolg von Rechts erst möglich gemacht hätte, davon, dass die konservative Mitte die einzige Brandmauer gegen Populisten und Extremisten sei. Es ist, wie so oft, das überhebliche, selbstverliebte und paternalistische Geschwätz von politischen Opportunisten, die gerade eine Wahl ‚gewonnen‘ haben. Denn wer hat hier eigentlich gewonnen? Die Demokratie sicher nicht. Niemals zuvor waren in den beiden größten Ländern der EU, Deutschland und Frankreich, die extremen Rechten so stark wie nie: Die AfD wurde nach CDU/CSU stärkste Kraft, in Ostdeutschland sogar mit Abstand die stärkste. Dazu kommt noch die Populismus-Unbekannte in Form des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW), die aus dem Stand um die fünf Prozent schaffte. Die Ampel-Regierung von Olaf Scholz steht unter immensem Druck, gerade mit Hinblick auf die ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst.
In Frankreich hat Präsident Macrons Parteien-Bündnis Besoin d’Europe nicht einmal die Hälfte an Zuspruch erhalten im Vergleich zu Marine Le Pens rechtem Rassemblement National (RN) – Macron löste daraufhin die Nationalversammlung auf, Neuwahlen stehen Ende Juni/Anfang Juli an. Dem Rest Europas geht es nicht besser: In Italien und Ungarn dominierten erwartungsgemäß die faschistischen Regierungsparteien von Orbán und Meloni, in Österreich erhob sich die rechtspopulistische FPÖ wieder und landete vor der Regierungspartei – auch hier stehen im Herbst Parlamentswahlen an. In den Niederlanden kam Geert Wilders PVV auf Platz Zwei mit nun sieben Sitzen – nachdem man 2019 überhaupt erst durch den Brexit Großbritanniens einen Platz im EU-Parlament ergattern konnte. Die Liste ließe sich fortführen. Es zeigt sich, dass extreme rechte Politik keine Randerscheinung von Kleinstparteien mehr ist, die hier und da mal auf nationaler Ebene prozentuale Ausreißer nach Oben erfährt; nein, die extremen Rechten sind MITTEN in der politischen Landschaft angekommen. Und, was vermutlich noch viel dramatischer ist: Ihre Ideologien und Programmatiken strahlen weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus, beeinflussen und formen den Alltagsdiskurs, jagen die gemäßigteren Parteien vor sich her und definieren wiederum deren Sprache und Politik mit.

Und das scheint überhaupt nicht bewusst in den Köpfen der Menschen angekommen zu sein. Oder vielleicht doch? Denn wenn Sätze wie „Es ist mir egal, dass die AfD rechtsextrem ist, denn sie spricht die richtigen Themen an“ mittlerweile hoffähig sind, und das besonders auch unter jüngeren und Erstwählern, dann steht der gesamt-demokratische Diskurs vor einem riesigen Problem. Um das noch ein Mal festzuhalten: Es geht hier nicht darum, ob wir über alltägliche politische Streitthemen wie Tempolimit, Mindestlohn oder die Gleichstellung von Cannabis mit anderen Drogen diskutieren. Es geht hier um das grundlegende Verständnis von dem, was Menschen in Gesellschaften eigentlich unter Demokratie, Mitbestimmung und Menschenrechten ansehen. Die genauen Hintergründe zu beleuchten und zu bewerten, kann nicht umfassend in einem Artikel wie diesem erörtert werden – es ist eine Mammutaufgabe, die Bibliotheken füllen kann und meist überhaupt erst in historischer Rücksicht eingehender erfassbar wird. Aber die Frage des Wohin bleibt wie ein nicht endender Kopfschmerz hinter der Stirn bestehen, sie geht auch nicht weg. Faschisten und Rechtsextremisten sind JETZT in unserer Mitte politisch aktiv und etabliert, und sie werden aller Voraussicht nach immer stärker werden. Das hat das Abschneiden der AfD gezeigt, kein Bystron, kein Krah, keine Correctiv-Recherche konnte den Aufschwung der Partei und ihrer Ideen stoppen. Es ist keine Randerscheinung und es sind keine glatzköpfigen Vollidioten, die ihr Kreuz bei dieser Partei machen, sondern ein gesellschaftliches Gefühl, das akzeptiert wird, und das Kreuz macht die Kassenkraft im Supermarkt, der Hochschullehrer, die Kollegin im Büro, rein statistisch vermutlich zwei von zehn Personen, die gerade diese Zeilen lesen.

Das Phänomen der EU und seiner aufstrebenden rechten Parteien ist nur eingebunden in einen Rechtsruck, der die westlichen Industriestaaten und letztlich die gesamte Welt erfasst hat. China, Indien, Russland, Brasilien, Argentinien und Südafrika sind nur populäre Beispiele.

Über allem schwebt die politische Situation in den USA. Denn egal, wer im November 2024 ins Weiße Haus einzieht, Trump oder Biden, die Vereinigten Staaten sind so ‚unvereinigt‘ wie seit dem Vietnamkrieg nicht mehr. Klimakrise, demographische Ungerechtigkeit, die seit knapp 30 Jahren andauernde Opioid-Krise, die Selbstaufgabe der Republikaner unter Trump und der damit verbundene Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, die Studentenproteste zum Krieg in Israel. Gewinnt Trump, kann das katastrophale Auswirkungen auf die Stabilität Europas haben. Trump macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber der NATO und seiner Ansicht nach zu wenig einzahlenden Staaten. Die Ukraine-Unterstützung könnte unter seiner Präsidentschaft weit zurückgefahren oder gar komplett gestrichen werden. Europa sollte sich darauf einstellen, intensiver in den Krieg hineingezogen zu werden – ungeachtet der immer wieder von russischer Seite formulierten Drohung mit Atomwaffen.
Und sowohl unter Biden als auch Trump werden wir vermutlich auf einen Konflikt mit China um Taiwan zusteuern: Xi Jinping wird aller Voraussicht nach versuchen, den Inselstaat bis zur Mitte des Jahrhunderts wieder mit China zu ‚vereinen‘. Es läuft auf eine Annexion hinaus, mit gefährlichen geopolitischen Konsequenzen.

Es lädt natürlich immens zu einem fast menschenverachtenden Sarkasmus ein: Denn was jetzt gerade passiert, ist letztlich nur das Resultat aus jahrzehntelangem Wegschauen, Wegmoderieren, Wegtechnologisieren und Mit-Geld-Zuscheißen. Man könnte eine zwingende Kausalität in der Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften herauslesen, die sich, ganz nach der marxschen Evolutionslehre, irgendwann eben selbst überwinden, sich selbst abschaffen werden. Wie, wann und in welchem Kontext das passieren wird, hat Marx nicht klar definiert; seine These mag zwar gewesen sein, dass sich am Ende die Arbeiterklasse erheben wird über das Kapital, aber letztlich ist das Endresultat – besonders aus der Perspektive seiner Zeit – überhaupt nicht absehbar gewesen. Überwinden wir also tatsächlich den vermeintlich demokratischen Kapitalismus, nur um endlich im demaskierten faschistischen aufzugehen?

Wie lange erodieren Vorstellungen über offene Gesellschaften, Menschenrechte und ökologische Verantwortung gegenüber unserer Umwelt und kommenden Generationen weiter vor sich hin, bis sie letztlich ganz verschwunden sind? Zehn Jahre? 25, 50? Wie werden die Menschen in 100 Jahren auf die 2020er Jahre zurückblicken, so wie wir auf die 1920er zurückblicken, und schlau darüber referieren, was wann und unter welchen Umständen in die unausweichliche Richtung einer Katastrophe lief? Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt sieht die deutsche Perspektive auf Herausforderungen für die Demokratie zu negativ: Demokratie sei kein „Paradies“, sondern ein „frustrierendes, langsames, schwieriges, selbst-korrigierendes System“. Die Herausforderungen für die Demokratien seien davon abhängig, wie die Bürger in einer Demokratie reagierten. Er verweist auf die für ihn „inspirierenden“ Reaktionen aus der Mitte der Zivilgesellschaft gegen die Remigrations-Pläne der AfD. Dies sei nicht genug, aber ein Zeichen dafür, dass der Widerstand komme, sobald der Druck groß genug sei.

Das Problem dabei ist: Dieser Druck mag zwar kommen, aber er kommt unterm Strich dann zu asymmetrisch, ungleichzeitig und nicht zielgerichtet, wenn Menschen zwar auf die Straße gehen, dann bei Europawahlen aber dennoch fast jede/r Fünfte das Kreuz bei Rechtsextremen machen. Noch haben Staaten wie die USA, Deutschland oder Frankreich weitestgehend funktionierende Demokratien: Freie Presse, Mehrparteiensysteme, Gewaltenteilung. Die sogenannten „checks and balances“, wie sie in den Vereinigten Staaten heißen, die Institutionen, die die Verfassung schützen, Landes- und oberste Gerichtshöfe, sind noch verhältnismäßig unabhängig. Noch. Parteien wie die AfD machen keinen Hehl daraus, das ihnen Verfassungsorgane ein Dorn im Auge sind, dazu muss man sich nur die Pressekonferenz der Parteiführung nach der EU-Wahl anschauen. Wenn wir im Herbst tatsächlich keine Brandmauern erleben oder die AfD einen Regierungsauftrag erhalten wird, müssen wir das erst ein Mal aushalten. Aber die Angst vor Erosion der demokratischen Zivilgesellschaft ist jetzt schon da, und sie ist real: Bereits jetzt fürchten linke NGOs und Flüchtlingsinitiativen um ihr Fortbestehen in den ostdeutschen Bundesländern.

Das, was sich bei den EU-Wahlen zugetragen hat, und was sich bei den kommenden Landtagswahlen im Herbst abzeichnet, ist noch keine endgültige Voraussage für die nächste Bundesregierung. Noch gibt es eine Mehrheit von vermutlich über 75 Prozent an Menschen in diesem Land, die die AfD nicht wählen. Doch gerade der AfD-Zuwachs bei den Wahlen besonders unter den Jüngeren lässt Übles befürchten. Und auch wenn das aktuell noch keiner für möglich halten mag oder will: Das kann jetzt innerhalb nicht mal einer Dekade alles sehr schnell gehen. Und zwar schief.

Andreas Klöpping

  • Juni 14, 2024

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