551 Fragen an die Bundesregierung. So viele hat die CDU/CSU-Fraktion am Montag mit einer Kleinen Anfrage im Bundestag eingereicht – zum Thema Finanzierung von gemeinnützigen Vereinen und Organisationen, die sich ihrer Meinung nach durch Proteste in den Wahlkampf eingemischt hätten.
In der Anfrage Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen heißt es auf Seite 1: „Staatlich finanzierte Organisationen müssen ihre politische Neutralität wahren. […] Die Kritik an der Einflussnahme gemeinnütziger Organisationen geht jedoch über einzelne Proteste hinaus. Manche Stimmen sehen in den NGOs eine Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt.“ Die Union wirft hier NGOs und Stiftungen wie etwa Campact, Correctiv, Omas gegen Rechts oder auch der Amadeu Antonio Stiftung vor, während der Bundestagswahl mit der Beteiligung an Demonstrationen gegen Rechts aktiv Position gegen CDU/CSU eingenommen zu haben. Damit wäre laut Union ein Versuch unternommen worden, den Wahlausgang zu beeinflussen, was den Statuten entsprechender Organisationen widerspräche. Würde dies bestätigt, so müsste über die zukünftige staatliche Finanzierung dieser Organisationen diskutiert werden.
Mir fällt dazu nur ein: GEHT’S NOCH????
Nicht nur ist die politische Willensbildung nicht ausschließlich Parteien vorbehalten – sie ist quintessenzieller Bestandteil zivilgesellschaftlicher Organisationen und damit Teil einer lebendigen UND kritischen Demokratie. Wir sprechen hier nicht über AfD-Jugendverbände, die zur Zerstörung der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung aufrufen, sondern über Vereine und Stiftungen, die im Rahmen ihrer im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit Kritik an politischen Entscheidungen einzelner Parteien geäußert haben. Das ist erlaubt, auch im Wahlkampf, auch und (meinem Empfinden nach) besonders von Vereinen, die eine staatliche Förderung erhalten. Denn diese sind Teil eines selbstreflexiven Mechanismus in einer Demokratie; der Staat investiert damit in Gremien, die ihm dabei helfen, nicht betriebsblind zu werden!
Wenn die Unionsparteien ein Problem mit Kritik haben, dann sollten sie vielleicht wieder vermehrt politische Ziele abseits vom demokratiezerstörenden AfD-Sprech kommunizieren und vielleicht auch nicht mit diesen Faschisten im Bundestag gemeinsame Abstimmungen betreiben. Warum muss mir mittlerweile bei fast jeder Flatulenz, die die Union ablässt, immer wieder Max Liebermanns Satz vom Fressen und Kotzen hochkommen?
Die Angeklagten melden sich mittlerweile zu Wort und widersprechen der Sichtweise der Union scharf. Die Amadeu Antonio Stiftung etwa schreibt in ihrem Statement, das Ziel der Anfrage sei, dass „NGOs in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt und sie mundtot gemacht werden. […] Für viele der NGOs ist das existenziell bedrohlich, aber auch für die Resilienz unserer Demokratie.“
Das Recherchenetzwerk Correctiv, das unter anderem letztes Jahr mit seiner Enthüllung zu den Deportations-Plänen der AfD für Aufsehen sorgte, hat einen Antwort-Katalog veröffentlicht, wo alle Fragen der Union beantwortet werden. Dort wird unter anderem mit Unverständnis auf Fragen wie „Gibt es direkte Verbindungen zwischen der Correctiv gGmbH und bestimmten Parteien oder politischen Akteuren?“ geantwortet: Kontakt zu politischen Akteuren sei eine Kernaufgabe des Journalismus, Redaktionsmitarbeitende stünden selbstverständlich mit Vertretern aller Parteien in Kontakt.
Man muss sich hier schon fragen, welche Hintergrundgedanken bei der Union die entscheidende Rolle bei der Einreichung der Kleinen Anfrage gespielt haben: Rache für Kritik an der CDU? Sollen NGOs jetzt verantwortlich gemacht werden für das zweitschlechteste Ergebnis der Unionsparteien seit der Gründung der Bundesrepublik? Das müssen diese sich schon selbst zuschreiben. Einst hatte Friedrich Merz getönt, die AfD zu halbieren und die CDU/CSU deutlich über 30 Prozent zu etablieren. Beides ist ihm gehörig misslungen. Nicht nur haben sich die Stimmen für die AfD im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 verdoppelt, ihr Wählerpotenzial scheint auch noch lange nicht ausgeschöpft: Das zeigt neben den Wählerwanderungen – ca. 2,8 Millionen Menschen wanderten von anderen Parteien zur AfD, allein über eine Million davon kommen von CDU/CSU – besonders das Potenzial der bisherigen Nichtwähler, denn über 1,8 Millionen Menschen haben sich für Blau entschieden; das ist fast so viel wie bei allen anderen Parteien zusammengerechnet (für eine Gesamtstatistik siehe die Analyseseite der Tagesschau). Bei der nächsten Wahl könnte Merz also bereits wehmütig auf die 28,5 Prozent von 2025 zurückschauen, wenn die AfD dann bei 30+ liegt. Und wie so oft bei Unionspolitik in den letzten Jahren helfen solche Aktionen immer nur der AfD: Denn kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu definanzieren, die aktiv gegen rechte und faschistische Politik auf die Straße gehen, wird der Union kein bisschen helfen. Es wird ihr schaden. Merz scheint weder aus den letzten Jahren noch aus den frisch vorliegenden Daten der Bundestagswahl etwas gelernt zu haben, im Gegenteil: Er macht mit seinem Kurs einfach so weiter. Versteht er vielleicht wirklich nicht, was er hier anrichtet, hat die Bedrohung vielleicht wirklich noch nicht mitgeschnitten? Eine solch selbstherrliche, fast schon realitätsverneinende Wahrnehmung der Union als einzig wahre Volkspartei mit Gestaltungskompetenz wäre nicht neu, doch ist sie in diesen Zeiten umso gefährlicher: Mit der AfD als zweitstärkste Kraft im Bund, Trump im Weißen Haus und Europa von Nationalisten und Rechtspopulisten unterwandert, dazu eine durch Russland gefährdete Sicherheits-Infrastruktur – die Zeit für eine Geisteshaltung, die an die 1980er und -90er-Jahre unter Kohl erinnert, war nie so fehl am Platz wie jetzt. Es sei denn, Merz will am Ende riskieren, tatsächlich zum Franz von Papen des 21. Jahrhunderts zu werden, wenn er weiterhin am falschen Ende des politischen Spektrums scheinbar kleingeistige Kämpfe austrägt; die aber eine gigantische Wirkung haben, weil sie die demokratischen Elemente aus der Zivilgesellschaft tilgen!