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Quelle: Thomas Köhler / photothek

Kleine Anfrage – große Wirkung: Die Union greift die Zivilgesellschaft an

Mit einer kleinen Anfrage im Bundestag will die CDU/CSU-Fraktion die Finanzierung von Organisationen prüfen lassen, die sich in der jüngeren Vergangenheit verstärkt gegen Rechts eingesetzt haben. Das riecht nach einem Racheakt ob der Demonstrationen gegen das gemeinsame Abstimmen mit der AfD zum Zustrombegrenzungsgesetz-Entwurf.
Die Union sägt an den Pfeilern unserer demokratischen Zivilgesellschaft.

551 Fragen an die Bundesregierung. So viele hat die CDU/CSU-Fraktion am Montag mit einer Kleinen Anfrage im Bundestag eingereicht – zum Thema Finanzierung von gemeinnützigen Vereinen und Organisationen, die sich ihrer Meinung nach durch Proteste in den Wahlkampf eingemischt hätten.
In der Anfrage Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen heißt es auf Seite 1: „Staatlich finanzierte Organisationen müssen ihre politische Neutralität wahren. […] Die Kritik an der Einflussnahme gemeinnütziger Organisationen geht jedoch über einzelne Proteste hinaus. Manche Stimmen sehen in den NGOs eine Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt.“ Die Union wirft hier NGOs und Stiftungen wie etwa Campact, Correctiv, Omas gegen Rechts oder auch der Amadeu Antonio Stiftung vor, während der Bundestagswahl mit der Beteiligung an Demonstrationen gegen Rechts aktiv Position gegen CDU/CSU eingenommen zu haben. Damit wäre laut Union ein Versuch unternommen worden, den Wahlausgang zu beeinflussen, was den Statuten entsprechender Organisationen widerspräche. Würde dies bestätigt, so müsste über die zukünftige staatliche Finanzierung dieser Organisationen diskutiert werden.

Mir fällt dazu nur ein: GEHT’S NOCH????
Nicht nur ist die politische Willensbildung nicht ausschließlich Parteien vorbehalten – sie ist quintessenzieller Bestandteil zivilgesellschaftlicher Organisationen und damit Teil einer lebendigen UND kritischen Demokratie. Wir sprechen hier nicht über AfD-Jugendverbände, die zur Zerstörung der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung aufrufen, sondern über Vereine und Stiftungen, die im Rahmen ihrer im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit Kritik an politischen Entscheidungen einzelner Parteien geäußert haben. Das ist erlaubt, auch im Wahlkampf, auch und (meinem Empfinden nach) besonders von Vereinen, die eine staatliche Förderung erhalten. Denn diese sind Teil eines selbstreflexiven Mechanismus in einer Demokratie; der Staat investiert damit in Gremien, die ihm dabei helfen, nicht betriebsblind zu werden!
Wenn die Unionsparteien ein Problem mit Kritik haben, dann sollten sie vielleicht wieder vermehrt politische Ziele abseits vom demokratiezerstörenden AfD-Sprech kommunizieren und vielleicht auch nicht mit diesen Faschisten im Bundestag gemeinsame Abstimmungen betreiben. Warum muss mir mittlerweile bei fast jeder Flatulenz, die die Union ablässt, immer wieder Max Liebermanns Satz vom Fressen und Kotzen hochkommen?

Die Angeklagten melden sich mittlerweile zu Wort und widersprechen der Sichtweise der Union scharf. Die Amadeu Antonio Stiftung etwa schreibt in ihrem Statement, das Ziel der Anfrage sei, dass „NGOs in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt und sie mundtot gemacht werden. […] Für viele der NGOs ist das existenziell bedrohlich, aber auch für die Resilienz unserer Demokratie.“
Das Recherchenetzwerk Correctiv, das unter anderem letztes Jahr mit seiner Enthüllung zu den Deportations-Plänen der AfD für Aufsehen sorgte, hat einen Antwort-Katalog veröffentlicht, wo alle Fragen der Union beantwortet werden. Dort wird unter anderem mit Unverständnis auf Fragen wie „Gibt es direkte Verbindungen zwischen der Correctiv gGmbH und bestimmten Parteien oder politischen Akteuren?“ geantwortet: Kontakt zu politischen Akteuren sei eine Kernaufgabe des Journalismus, Redaktionsmitarbeitende stünden selbstverständlich mit Vertretern aller Parteien in Kontakt.

Man muss sich hier schon fragen, welche Hintergrundgedanken bei der Union die entscheidende Rolle bei der Einreichung der Kleinen Anfrage gespielt haben: Rache für Kritik an der CDU? Sollen NGOs jetzt verantwortlich gemacht werden für das zweitschlechteste Ergebnis der Unionsparteien seit der Gründung der Bundesrepublik? Das müssen diese sich schon selbst zuschreiben. Einst hatte Friedrich Merz getönt, die AfD zu halbieren und die CDU/CSU deutlich über 30 Prozent zu etablieren. Beides ist ihm gehörig misslungen. Nicht nur haben sich die Stimmen für die AfD im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 verdoppelt, ihr Wählerpotenzial scheint auch noch lange nicht ausgeschöpft: Das zeigt neben den Wählerwanderungen – ca. 2,8 Millionen Menschen wanderten von anderen Parteien zur AfD, allein über eine Million davon kommen von CDU/CSU – besonders das Potenzial der bisherigen Nichtwähler, denn über 1,8 Millionen Menschen haben sich für Blau entschieden; das ist fast so viel wie bei allen anderen Parteien zusammengerechnet (für eine Gesamtstatistik siehe die Analyseseite der Tagesschau). Bei der nächsten Wahl könnte Merz also bereits wehmütig auf die 28,5 Prozent von 2025 zurückschauen, wenn die AfD dann bei 30+ liegt. Und wie so oft bei Unionspolitik in den letzten Jahren helfen solche Aktionen immer nur der AfD: Denn kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu definanzieren, die aktiv gegen rechte und faschistische Politik auf die Straße gehen, wird der Union kein bisschen helfen. Es wird ihr schaden. Merz scheint weder aus den letzten Jahren noch aus den frisch vorliegenden Daten der Bundestagswahl etwas gelernt zu haben, im Gegenteil: Er macht mit seinem Kurs einfach so weiter. Versteht er vielleicht wirklich nicht, was er hier anrichtet, hat die Bedrohung vielleicht wirklich noch nicht mitgeschnitten? Eine solch selbstherrliche, fast schon realitätsverneinende Wahrnehmung der Union als einzig wahre Volkspartei mit Gestaltungskompetenz wäre nicht neu, doch ist sie in diesen Zeiten umso gefährlicher: Mit der AfD als zweitstärkste Kraft im Bund, Trump im Weißen Haus und Europa von Nationalisten und Rechtspopulisten unterwandert, dazu eine durch Russland gefährdete Sicherheits-Infrastruktur – die Zeit für eine Geisteshaltung, die an die 1980er und -90er-Jahre unter Kohl erinnert, war nie so fehl am Platz wie jetzt. Es sei denn, Merz will am Ende riskieren, tatsächlich zum Franz von Papen des 21. Jahrhunderts zu werden, wenn er weiterhin am falschen Ende des politischen Spektrums scheinbar kleingeistige Kämpfe austrägt; die aber eine gigantische Wirkung haben, weil sie die demokratischen Elemente aus der Zivilgesellschaft tilgen!

Zwei Begriffe im obigen Zitat der Unionsanfrage vom Montag lassen erahnen, welch gruseliger Unterton dieser innewohnt: „Manche Stimmen“ und „Schattenstruktur“. Dies klingt dermaßen nach AfD-Sprech, Verschwörungsmythen und Donald Trump, dass einem schlecht wird. Die unpräzise Darstellung der ‚Stimmen mancher‘ lässt erahnen, dass einerseits keiner der Unions-Politiker gewillt ist, sich federführend vor Kameras und Mikrofone zu stellen – obgleich die Anfrage auch von Führungspersönlichkeiten wie Alexander Dobrindt oder eben Friedrich Merz selbst unterschrieben wurde. Andererseits erzeugt sie die mittlerweile im rechten Lager übliche populistisch-nebulöse Verbreitung eines vermeintlich etablierten öffentlichen Diskurses über ein Thema, ohne dies aber zu belegen. „Schattenstruktur“ wiederum erinnert deutlich an Donald Trumps Fabulieren vom deep state: Der US-Präsident arbeitet aktuell am Komplettumbau des amerikanischen Behördensystems mithilfe seines Optimierungsgremiums DOGE – sei es die Definanzierung der Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID oder andere geplante verfassungsfeindliche Verschlankungen, etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich.

Wir können hier potenziell ablesen, wohin die Reise mit der CDU als Regierungspartei gehen wird. Wird das Thema unter der neuen Regierung aufgegriffen, trifft es vielleicht bald nicht nur unliebsame NGOs, sondern auch andere Bereiche außerhalb der direkten politischen Arbeit: Sozialverbände, den Minderheitenschutz, Arbeitnehmer-Interessengruppen. Und für ausufernde Verfassungsklagen gegen solche Maßnahmen fehlt uns als politisches System schlicht und ergreifend die Zeit, denn wir haben ganz andere Probleme.

Bislang ist nicht abzusehen, was aus dieser Anfrage wird. Die Union verteidigt sich bereits heftig gegen Kritik und wiederholt dabei letztlich ihre problematischen Äußerungen aus dem Anfragenpapier. Hieran kann man ablesen, dass mit der CDU/CSU in den Regierungssesseln unsere Demokratie alles andere als sicher ist. Es wird jetzt am kleinen Koalitionspartner SPD liegen, solchen unsäglichen Vorhaben einen Riegel vorzuschieben – Grüne und Linke können in der Opposition kaum gegen die AfD ankommen, die einer Definanzierung von Organisationen wie Greenpeace oder attac sehr aufgeschlossen gegenüberstehen wird. Sollten dann AfD-Stimmen gemeinsam mit der Union gegen die SPD stehen, ist das erneute Scheitern einer Regierung bereits sicher. Die Faschisten wird es freuen.

Was bleibt, ist Ungewissheit und auch Angst. Die meisten der bedrohten NGOs werden sich von solch einem Verhalten nicht einschüchtern lassen, dazu ist auch die gesamtgesellschaftliche Unterstützung (noch) zu groß. Aber es ist wie immer mit dem Dilemma des Sagbarmachens des eigentlich Unsagbaren: Die Union wird in den geneigten Reihen der Gesellschaft die Debatte über NGOs und deren Rolle weiter anfachen, von einfacher Kritik bis zu Verschwörungsmythen wie ‚Antifa-Demogeld‘.  Hier sind dann unter anderem auch die Gewerkschaften gefordert, die noch stärker abseits von der eigenen Klientelpolitik im politisch-zivilgesellschaftlichen Engagement aktiv werden müssen. Sie können durch die tägliche betriebliche Arbeit wie kaum andere Organisationen verbindend in den Alltag gesellschaftlicher Schichten, Altersgruppen, Geschlechter einwirken. Dabei müssen Grenzen überwunden werden, Lagerdenken aufgegeben und persönliche Befindlichkeiten ad acta gelegt werden.

Denn wenn dieser Diskurs, den die Unions jetzt anstößt, am Ende tatsächlich in politisch gewollten Umsetzungen und dann im Rückzug von einigen Vereinen und Stiftungen aus der öffentlichen politischen Willensbildung mündet, muss das kompensiert werden von jenen Institutionen und Gremien, die noch durch unsere Verfassung geschützt sind.

Denn hier geht es um nichts Anderes als das Überleben der Demokratie.

Andreas Klöpping

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