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Credit: freepik

Biodiversity Credits: Die nächste Greenwashing-Falle?

Die Industrie hat vermutlich ein neues Vehikel gefunden, mit dem sich gleichzeitig Geld verdienen und der Planet retten lässt. Zumindest ist das die Botschaft von Biodiversity Credits. Echte Chance oder eine weitere Greenwashing-Nebelkerze?

Wie wäre es, wenn Unternehmen verpflichtet wären, für jeden Eingriff, den sie durch ihre Produktions- und Lieferketten in der Natur vornehmen, einen Ausgleich schaffen müssten? Etwa ein Feuchtgebiet renaturieren, wenn dafür eine Fabrik auf einem Sumpfgebiet entstehen soll. Oder in Projekte investieren, die begradigte Flussbetten wieder in ihren natürlichen Lauf zurückversetzen. Klingt gut? So in etwa sollen Biodiversity Credits funktionieren, die aktuell das neue Gesprächsthema im Spannungsfeld Ökologie vs. Wachstum sind. Genauer gesagt sollen Parameter ausgearbeitet werden, die den ökologischen Fußabdruck eines Unternehmens auf die Biodiversität darstellen. Unter Biodiversität versteht man allgemein das Zusammenspiel mehrerer ökologischer Faktoren in einem Landschaftsraum, also die Artenvielfalt, genetische (gesunde) Varianten dieser Arten sowie Qualität und Diversität der Lebensräume, in denen sich diese Arten aufhalten.
Wenn nun ein Unternehmen einen Fußabdruck X in Gebiet Y verursacht oder verursachen will (etwa durch das Abholzen eines Waldes) muss es X (anderswo) ausgleichen. Dies soll über verschiedene Entschärfungsgrade passieren, grob unterteilt in Schadensvermeidung und Schadensbegrenzung an Ort Y (keine oder weniger Bäume fällen) und/oder letztendlich Kompensation an einem anderen Ort Z (Bäume pflanzen). All diese Faktoren werden dann in ein Credit-Point-System umgewandelt, die dem Unternehmen je nach Stand seiner Bemühungen zugeschrieben oder abgezogen werden. An dem System sollen sich dann Ausschreibungen und Vergabe orientieren. England probiert dieses System gerade im Bauwesen aus: Für den Straßen- und Gebäudebau müssen Kompensationsprojekte unterstützt werden – mit dem Ziel, am Ende eines jeden Baus einen Nettogewinn von 10 Prozent Biodiversität zu erhalten.

Klingt komplex. Ist es auch.
Denn wie werden diese Parameter bemessen? Was ist eigentlich ein gesundes Ökosystem und wie genau kann man den Einfluss von Industrie, Verkehr und anderen Faktoren in Zahlen oder andere Werte ummünzen, die einerseits ein umfassendes Bild von Biodiversität in zu- oder abnehmenden Graden abbilden und aus denen dann andererseits auch entsprechend wirksame Handlungsschritte ableitbar werden? Und was bedeuten die im englischen Beispiel 10 Prozent an Biodiversitätsgewinn in der Realität? Kann/Darf man Biodiversität an verschiedenen Orten überhaupt vergleichen, oder konkreter gesagt: in Konkurrenz zueinander stellen? Wer stellt diese Zahlen auf, wer entscheidet darüber? Unternehmer? Wissenschaftlicher? Politiker? Gelten für den privatwirtschaftlichen Sektor die gleichen Regelungen wie für öffentliche Ausschreibungen?
Und wer überwacht diese Prozesse auf ihren tatsächlichen Nutzen?
All diese Fragen lassen Biodiversity Credits in einem extrem ambivalenten Licht erscheinen. Denn auf der einen Seite klingen diese Arten Regularien und Vorschriften besser, als der Industrie einfach ihren Lauf zu lassen und nichts zu tun. Andererseits sind aber so extrem viele Sollbruchstellen und Fallstricke in dem Konzept verborgen, dass am Ende des Tages wieder nur ein weiterer Greenwashing-Markt entstehen könnte, mit dem sich die globalen Umweltkiller wie Shell, Microsoft, Nestlé oder Volkswagen schmücken, um von ihren eigentlichen Zerstörungen abzulenken. Denn genau dieses Prinzip eines Ausgleichs bei Umwelteinflüssen durch die Industrie probieren wir ja seit Jahrzehnten aus:

Beim CO²-Handel.

Der Ablasshandel, denn die Industriestaaten bei Kohlendioxid betreiben, ist seit knapp 60 Jahren eher ein Umschichten als echtes Verringern von Emissionen. Anstatt den Ausstoß tatsächlich herunterzufahren, weniger zu produzieren und zu konsumieren, feiern wir Projekte, die für uns gegen Bezahlung irgendwo auf der Welt Wälder aufforsten oder Naturschutzgebiete ausrufen und überwachen. Wir kennen nichts Anderes, als mit Geld und Technik die Probleme unserer Zeit zu lösen, also machen wir das beim Thema Umweltschutz und Klimawandel genauso. Da spielt es auch keine Rolle, das ein Großteil des CO²-Handels auf der Welt in unnachhaltige Projekte fließt, indigene Gruppen aus ihrer Heimat vertrieben werden oder durch monokulturellen Anbau gepflanzte Wälder bei der kleinsten Trockenheit wieder abbrennen. Dieses Fazit zieht das CarbonBrief-Projekt, das 2023 den Einfluss von CO²-Handel in über 60 untersuchten Fällen protokolliert hat. Dabei war unter anderem eine immense Überschätzung der tatsächlichen Einsparung an CO² entweder durch die Projektverantwortlichen selbst oder aber durch die sie unterstützenden Unternehmen an der Tagesordnung. Des Weiteren kommt es besonders bei Projekten im lateinamerikanischen Äquatorraum zu immensen Menschenrechtsverletzungen, bei denen besonders indigene Gruppen im Amazonasgebiet vertrieben oder so in ihrem Lebensalltag eingeschränkt werden, dass dies einem kulturellen Genozid gleichkommt. Dies ist zusätzlich verwerflich vor dem Hintergrund, dass es eben jene indigenen Gruppen sind, die durch ihr teils Jahrtausende altes Zusammenleben mit der Tier- und Pflanzenwelt in diesen Regionen die stärkste Stimme mit der der größten Wissensbasis und damit die treibende Kraft beim Schutz dieser Gebiete sind. Und absolut lächerlich werden diese Projekte eben dann, wenn sie durch mangelndes Know-How oder bewusste Täuschung in zusätzlichem CO²-Ausstoß münden: So verkaufte ein Wiederaufforstungs-Projekt in Kalifornien einfach munter weiter CO²-Zertifikate an Firmen, obwohl der als Kohlenstoff-Senke angepflanzte Wald bereits einem Feuer zum Opfer gefallen war.
Wenn man dann bei den Projekten oder Firmen nachfragt, wird auf interne Untersuchungen verwiesen, die in der Regel im Sand verlaufen. Wir haben es also mit einem Problem auf beiden Seiten zu tun: Die Firmen, die sich mit sozialen und ökologischen Projekten schmücken wollen sowie die Projekte, die teils aus purer Geldgier dann wie im obigen Beispiel Schein-Zertifikate vergeben. Bei anderen etablierten Zertifikaten außerhalb des CO²-Handels (Rainforest Alliance, MSC, FSC) sind diese ja sogar oft von den Firmen selbst ins Leben gerufen worden. Ein Schelm, der böses dabei denkt. Der klassische Fall von Greenwashing eben.
Es gibt für den CO²-Handel keine bindenden Regularien, die in der Realität auch tatsächlich überprüfbar sind, denn das würde viel Fachpersonalaufwand bei unabhängigen Dritt-Organisationen bedeuten – den diese aber weder personell noch finanziell stemmen können.

Was erwartet uns also nun beim neuen Prinzip der Biodiversity Credits? Unterm Strich fällt meine ganz persönliche Prognose wie folgt aus: Es werden jetzt die gleichen Hebel und Mechanismen ausgepackt und in Bewegung gesetzt wie beim CO²-Handel. Rechnung, Gegenrechnung, Handel. Vielleicht mit der ein oder anderen feiner abgestimmten Stellschraube hier und da. Kaum einer wird dabei die Bedenken jener hören, die die oben aufgeführten Fragen beantwortet haben wollen. Kaum einer wird sich Gedanken darüber machen, dass Biodiversität noch weniger als CO² in Zahlen oder Kategorien zu packen ist. Während man eine Tonne CO² Emission gegen eine Tonne CO²-Aufnahme sich noch irgendwie im Rahmen von Abgasausstoß und Pflanzenaufnahme vorstellen kann, ist dies bei Biodiversität nahezu ausgeschlossen. Und da die Rechnung schon beim CO²-Handel nicht richtig aufgeht, wird sie bei Biodiversity Credits schlicht und ergreifend unlösbar, wenn es darum geht, echte nachweisbare Effekte in der Realität zu messen.
Das Endergebnis wird aber das Gleiche sein: Aufgeblähte Sozialkataloge von Nestlé, BP und Konsorten, medienwirksame Auftritte von Industrie und Politik bei Fachtagungen und Klima-Demos. Unsere Gesellschaft wird weiter von notwendigem Wachstum und dergleichen sprechen und alle werden sich immer wieder gegenseitig vergewissern, dass sie ja das Menschenmöglichste tun, um Umweltprobleme, Klimawandel und sich daraus ableitende Schäden in den Griff zu bekommen. Und dass Biodiversity Credits ein prima System sind, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Mit uns Menschen ist das ja so eine Sache: Wir verstehen durchaus, dass wir den Planeten in unserer Entwicklungsgeschichte nachhaltig verändert und geschädigt haben. Wir sind aber eben auch seit knapp zwei Jahrhunderten so auf Wachstum und Wirtschaftlichkeit konditioniert, dass wir nur schwer aus diesen gewohnten Denkmustern von Marktregelung und Technologielösung ausbrechen können. Oder wollen. So lange wir uns von Unternehmen und Politikern das schöne Märchen erzählen lassen, das wir mit Wachstum und neuen Technologien unsere akut gewordenen Probleme lösen werden und wir sie einfach nur machen lassen sollen, werden uns keine Credit-Point-Systeme irgendeiner Couleur auch nur im Ansatz helfen. Die Natur ist da absolut kalt, sie lässt nicht mit sich (ver)handeln. Nicht mit CO² und erst recht nicht bei so überaus komplexen Begrifflichkeiten wie Biodiversität. Die Natur macht einfach weiter, ob mit 1,5 Grad Erwärmung, ob mit 3 oder 10. Ob mit 20 Prozent weniger Biodiversität oder 0,04563 Prozent mehr.

Und wir werden dann nicht mit ihr, sondern in ihr untergehen.

mehr zum Thema:

Environmental Justice Atlas – eine Weltkarte aktueller Umweltverbrechen

World Resources Institute – Biodiversity Credits Explained

 

 

Andreas Klöpping

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