Frauen ins All – oder: Männer, bleibt mal auf dem Teppich

Zwei Studien zu den Rollen von Männern und Frauen sorgen aktuell für Aufsehen. So unterschiedlich ihr Hintergrund auch sein mag, sie haben viel miteinander zu tun.

Wenn es um Männer und Frauen in unserer Gesellschaft geht, fallen Schlagworte wie Gender-Pay-Gap, Chancengleichheit, unbezahlte Care-Arbeit, toxische Umgebung, Gewalt. Warum wir es 2023 immer noch nicht oder erst recht nicht mehr schaffen, uns alle einfach als gleiche Lebewesen zu betrachten denn als geschlechtsdefinierte, zeigen zwei Studien, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber im Kern Geschlecht zum Thema haben. Eine dieser Studien geht thematisch hoch hinaus, in die Weiten des Alls, während die andere im Ergebnis vielmehr in die entgegengesetzte Richtung steuert: In die Abgründe der Psyche, in verkrustete starre Denkmuster. Beide eint, dass sie dafür plädieren, dass sich etwas ändern muss.

Betrachten wir zunächst die am Boden verhaftete Studie: Eine Online-Umfrage von Plan International wollte eruieren, wie sich Männer zwischen 18 und 35 Jahren in Deutschland sehen, welche Wertvorstellungen sie für sich, ihren Beruf und ihre Beziehungen empfinden.
Die Ergebnisse sind teils leider recht ernüchternd: So sehen sich nach wie vor viele Männer in der Rolle des Ernährers, des Machers – und leider auch des Machos. Gerade Letzteres liefert alarmierende Zahlen, denn mehr als ein Drittel der Befragten gab an, dass Gewalt in der Partnerschaft akzeptabel sei, um die eigene Meinung durchzusetzen. Auch waren Vorbehalte gegen Homosexualität weit verbreitet. Die Hälfte der Befragten fühlte sich schwach und angreifbar, wenn sie Gefühle zeigten, über 70 Prozent wollten persönliche Probleme lieber allein und ohne Hilfe lösen.
Auch Frauen und PartnerInnen wurden befragt, hier ergab sich, dass über drei Viertel sich wünschten, Männer würden sich mehr für Gleichberechtigung interessieren und sich verstärkt differenzierter mit den oben genannten Wertvorstellungen auseinandersetzen.
Gerade in Bezug auf den gemeinsamen Haushalt weist die Studie auch auf den Umstand hin, dass durch die finanzielle Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt viele Paare in klassische Lebens- und Familienmodelle verfielen, was wiederum bestärkend auf entsprechende Weltanschauungen zurückwirke. Dieser Teil der Befragung sollte hellhörig machen, denn es hat einen indirekten und direkten Einfluss auf den Umstand, dass Frauen nach wie vor für gleiche Arbeit ungleich entlohnt werden. Wenn sich solche Auffassungen durch Krisen wie Pandemie oder Krieg noch verstärken und Paare wieder zunehmend in die klassischen Haushaltsmodelle rutschen, wird der Gender-Pay-Gap nicht kleiner, sondern potenziell sogar wieder größer werden. Von der zunehmenden Unsichtbarkeit unbezahlter Care-Arbeit ganz abgesehen…
Leider mangelt es laut Studie auch nicht an männlichen fragwürdigen Vorbildern. In Zeiten von Sozialen Netzwerken und Influencertum dominieren jene Männer das Bild, die erfolgreich, sportlich oder leider auch offen frauenfeindlich sind. Seien es der Unternehmer Elon Musk, der Profi-Fußballer Cristiano Ronaldo oder der Ex-Kampfsportler und selbsternannte „Frauenhasser“ Andrew Tate, sie alle erzeugen einen direkt oder indirekt immensen Druck auf das Selbstbild, dass Männer von sich haben.

Es bleibt die Frage, ob diese Online-Umfrage mit gerade einmal 2.000 Befragten ein objektives Männerbild zeichnet. Plan International hat hierzu ein Statement auf seiner Homepage veröffentlicht, indem erläutert wurde, wie ein gleich verteilter Querschnitt abgebildet werden konnte, was Alter, (Aus)Bildung und soziale Herkunft anbelangt. Auch wurde sich mit anderen Forschungsinstituten und Gender-Inititativen ausgetauscht, um die Ergebnisse vergleichbar zu machen. Von daher kann man(n) schon von teils besorgniserregenden Zahlen sprechen, wenn es um das Selbstbild von Männern geht, die einerseits die Hälfte der Zukunft unserer Gesellschaft ausmachen, andererseits in vielen Bereichen über Belange der Gesamtgesellschaft die Deutungs- und Gestaltungshoheit innehaben.

Starten wir nun von der Erde aus, weg von den Männern, ins All. Zu den Frauen, die dort forschen und arbeiten. Aber wo sind sie eigentlich? Irgendwie fliegen hier in den Raumstationen zu 90 Prozent auch nur Männer umher, wird Forschung in der Schwerelosigkeit von Männern betrieben, werden Auswirkungen vom Aufenthalt im All auf den menschlichen Körper hauptsächlich an männlichen Körpern betrieben.
Dabei gibt es zwei zu beachtende Fakten, von denen einer Teil einer ganzen Studie wurde. Zum einen ist mittlerweile bekannt, das Frauen- und Männerkörper unterschiedlich auf Umwelteinflüsse reagieren, dass Krankheiten differenziert entstehen und diagnostiziert werden, auf der Erde wie im All – man denke nur an die teils immensen Unterschiede, wie sich Herzinfarkte bei Frauen symptomatisch äußern. Dass in der Schwerelosigkeit unter anderem auch zu Krankheiten geforscht wird, ist daher zwar wichtig, aber irgendwie auch extrem unlogisch, wenn die Forschung wie etwa zu Osteoporose hier vornehmlich an Männerkörpern erfolgt, auf der Erde aber in der Regel Frauen öfter und früher daran erkranken. Wir erleben also auch hier den oft kritisierten, aber bislang nicht wirklich konstruktiv angegangenen Gender-Data-Gap, also den massiven quantitativen Unterschied in der Verfügbarkeit von wissenschaftlichen Daten zu Männer- und Frauenkörpern und deren Auswirkungen auf Diagnostik und Therapie.

Zum anderen, und das zeigt die jüngst veröffentlichte Studie der ESA, eignen sich Frauen(körper) anscheinend wesentlich besser dazu, in der Schwerelosigkeit zu existieren als Männer. Dies hat physiologische Ursachen und medizinische, logistische und finanzielle Konsequenzen.
Eine rein weibliche Besatzung würde während einer 1.080-tägigen Mission – was zum Beispiel der Dauer einer Mars-Mission entsprechen könnte – mehr als 1,5 Tonnen weniger Nahrungsmittel verbrauchen als eine rein männliche. Frauen haben nämlich in der Regel einen knapp 30-prozentig niedrigeren Proteinbedarf, der Gesamtenergieverbrauch des weiblichen Körpers liegt um elf bis 41 Prozent unter dem eines männlichen Körpers. Dieser effizientere Stoffwechsel macht sich neben dem niedrigeren Kalorienbedarf auch beim Sauerstoff- und Wasserverbrauch bemerkbar, Frauen schwitzen auch bei höherer körperlicher Belastung weniger als Männer – dazu stoßen Frauen weniger Kohlendioxid aus und erzeugen weniger (Ab)Wärme.
Was unter Normalbedingungen auf der Erde vielleicht banal wirken mag, hat in der Schwerelosigkeit und insbesondere in den beengten Verhältnissen einer Raumstation gravierende Auswirkungen auf den Ressourcenverbrauch – und auf den Platz. Denn oben genannte Einsparungen würden 2,3 Kubikmeter weniger Lagerraum bedeuten. Dies würde 40 Prozent an Platzeinsparung für eines der Module bedeuten, die in der in Planung befindlichen Mond-Orbit-Station verbaut werden sollen. Es gibt auch medizinische Hinweise, etwa auf eine geringeres Auftreten an Augenerkrankungen unter weiblichen Raumfahrenden. Dies muss allerdings noch weiter beforscht werden.
Frauen sind im Mittel etwas kleiner und leichter als Männer, was einerseits die Arbeit in den beengten Verhältnissen erleichtert, andererseits die ins All zu bringende Nutzlast erheblich verringert. Ein Kilogramm auf die International Space Station ISS zu bringen kostet rund 93.400 US-Dollar; allein im Bereich der Ressourcenversorgung würden die Raumfahrtbehörden bei einer rein weiblichen Crew je Frachtladung 158 Millionen US-Dollar an Kosten einsparen. Wenn also schon die physiologischen und medizinischen Vorteile sowie die wissenschaftliche und genderspezifische Notwendigkeit zur Parität nicht als Argument herhalten sollten, dürfte doch spätestens in den auch wirtschaftlich handelnden Raumfahrtbehörden der finanzielle Aspekt für Hellhörigkeit sorgen.

Im Falle der ESA-Studie bleibt anzumerken, dass es Deutschland (BRD wie DDR) in seiner nicht ganz 50-jährigen Geschichte an Raumfahrenden (Sigmund Jähn als der erste 1976) nicht ein einziges Mal geschafft hat, eine Frau ins All zu bringen. Alle 12 Deutsche, die bislang ins All durften, sind Männer gewesen. Das Land ist im internationalen Vergleich absolutes Schlusslicht in diesem Bereich – immerhin ein Land, dass sich Gleichberechtigung ins Grundgesetz geschrieben hat. Dass es 2023 einer privaten Stiftungsinitiative bedarf, die sich um die Realisation der ersten deutschen Astronautin bemüht, Forschung für und über Frauen im All voranbringen möchte und damit in der Wissenschaft auch ganz konkret Role Models für junge Frauen und Mädchen erzeugen möchte, ist ein Armutszeugnis für die Diversität des Wissenschaftsstandortes Deutschland, insbesondere im Bereich der Luft- und Raumfahrt.  Denn die Wissenschaftlerinnen, die fähig und bereit wären, ins All zu fliegen, gibt es mittlerweile seit mehr als zwei Jahrzehnten zur Genüge. Dies bestätigt auch die Astrophysikerin Suzanna Randall, eine der zwei Kandidatinnen der Stiftung Die Astronautin, die hoffentlich bald ihren ersten Flug ins All antreten werden. Ihre Kollegin, die Meteorologin Insa Thiele-Eich, muss sich Fragen zur Vereinbarkeit von Mutterschaft und Astronautik anhören, ein sexistischer Vorwurf, der ihrer Aussage nach besonders in Deutschland ein Thema sei. Hat diese verschissene Frage jemals jemand Neil Armstrong gefragt, der zum Zeitpunkt der Mondlandung Vater zweier Kinder war? Oder Thomas Reiter bei seinem ersten Flug zur MIR 1995?

Hier, bei dieser Thematik, schließt sich auch der Kreis und beide Studien kommen unangenehm aufeinander zu: Ein augenscheinlich (wieder?) wachsender Anteil an Männern, die patriarchalen Gesellschaftsmustern anhängen, haben einen direkten Einfluss auf die Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten von Frauen in dieser Gesellschaft. Wenn die Meinung sich wieder weiter verfestigten sollte, das Männer die Macher sind und Frauen lediglich diejenigen, die als Erfüllungsgehilfin der männlichen Selbstverwirklichung dienen, dann wird auch eine Stiftung wie Die Astronautin es schwer haben, Erfolg zu haben. Dann werden es Mädchen weiterhin schwer haben, in den MINT*-Fächern Fuß zu fassen und dann wird sich auch gesamtgesellschaftlich an den Unterschieden in persönlicher wie monetärer Freiheit nichts ändern – sondern eher wieder Strukturen erstarken, die wir eigentlich zu überwinden gedachten.
Auch vor diesem Hintergrund sind Wissenschaftlerinnen wie Dr. Suzanna Randall und Dr. Inse Thiele-Eich sowie die Stiftungsgründerin Claudia Kessler zu unterstützen, damit diese als ein heller Stern gegen die zugegebenermaßen recht finsteren Aussichten der Männer-Studie leuchten können.

*MINT-Fächer bezeichnet die Studienbereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik

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