Wir wissen alle nicht erst seit dem Bekanntwerden des Austragungsortes der WM ’22, dass Profi-Fußball eine schmutzige Angelegenheit ist: Sei es die Korruption innerhalb der FIFA oder der UEFA, die vermutlich auch zur Vergabe der WM 2006 an Deutschland führte (dem berühmten „Sommermärchen“), oder die Menschenrechtslage in Südafrika oder Brasilien, die 2010 und 2014 unter den Tisch gekehrt wurde. Auch Russland durfte 2018, vier Jahre nach der Annexion der Krim, die WM austragen. Kritische Stimmen gab es kaum. Alles für die Spiele!
Nun wird die diesjährige Weltmeisterschaft in Katar ausgetragen. Katar, das ist jener kleine und sehr reiche Wüstenstaat am Persischen Golf, eingepfercht zischen den Riesen Saudi-Arabien und Iran, dessen Bevölkerung zu fast 90% aus unterbezahlten, unterdrückten Gastarbeitern besteht. Ein Staat, in dem Frauen so gut wie keine Rechte besitzen und Homosexualität unter Strafe steht. Katar, das ist das Land, in dem fast jeder Fünfte der 300.000 Einwohner mit katarischem Pass der einflussreichen Familie Ṯānī angehört, die seit der Unabhängigkeit 1971 die Geschicke im Land lenkt. Die absolute Monarchie des Emirats erlebt fast absolute Handlungsfreiheit auf der internationalen Bühne, abgesichert durch die Einnahmen aus den wichtigsten Exportgütern: Erdgas und Erdöl.
Katar hat sich international fast unentbehrlich gemacht: Auf der einen Seite durch die Rohstoffexporte, auf der anderen durch massive Investitionen im Ausland. Der katarische Staatsfond QIA (Qatar Investment Authority) hält relevante Anteile an wichtigen internationalen Unternehmen: Im Finanzsektor bei Barclays, Credit Suisse oder der Deutschen Bank, in Transport und Logistik bei Hapag-Lloyd und diversen Flughäfen, beim Bauriesen VINCI, in der Fertigung bei Siemens oder beim Automobilkonzern VW.
Und eben auch im Fußball. Bekanntestes Beispiel dürfte der französische Club Paris Saint-Germain sein, der in den letzten Jahren zu einer der Top-Adressen in Europa aufstieg – finanziert aus Katar. Weltstars wie Neymar, Mbappé oder Messi können nur nach Paris geholt werden, weil die katarische Regierung Hunderte an Millionen Euro in den Verein pumpt. Auf Dauer wird der Einfluss von Ölmagnaten und Regierungen aus dem Nahen Osten den Fußball kommerziell noch weiter aushöhlen und verzerren, denn die Engagements sind beispielsweise in Großbritannien gang und gebe. Auch in Deutschland sorgt Katar für Unfrieden zwischen Fans und Clubs. 2021 war sicher das Pestjahr in Sachen Kommunikation für den FC Bayern München, als die Situation auf der Mitgliederversammlung bei Nachfragen zum Sponsoring von Qatar Airways eskalierte. Die Fans beschimpften die Vereinsführung, die sich völlig uneinsichtig hinsichtlich einer Reflektion über den Werbepartner gab. Einer der Hauptkritiker sieht bis heute keine Besserungsabsicht der Club-Verantwortlichen, die eine Verlängerung des Engagements der Fluggesellschaft wohl 2023 verkünden werden.
Von den Unruhen im europäischen Fußball können die Gastarbeiter, die in Katar aktuell auch die Infrastruktur für die WM bauen, nur träumen. Hier sind andere Lebensrealitäten Alltag: keine Bezahlung, mangelnde Arbeitssicherheit, katastrophale Unterkünfte, abgenommene Pässe. Berichte häufen sich von Betroffenen, die über Todesfälle an Baustellen berichten. Generell sind laut offiziellen Angaben seit 2010 über 15.000 Menschen in Katar bei Bauarbeiten ums Leben gekommen, Hunderte davon allein beim Bau an WM-Infrastruktur. Unbezahlte Schwerstartbeit ohne Möglichkeit, in seine Heimat zurückzukehren – so etwas ist kurzum Sklaverei.
Dass Katar alle kritischen Stimmen hierzu verstummen lassen will, koste es, was es wolle, musste auch der ehemalige DFB-Chef Theo Zwanziger spüren: Das Emirat beuaftragte eine US-amerikanische Firma mit CIA-Verbindung, die Undercover ein Netzwerk um Zwanziger aufbaute. Das Ziel: Den damaligen DFB-Chef durch indirekte Beeinflussung von seiner Kritik am Golfstaat abzubringen. Als das nicht fruchtete und Zwanziger Katar aufgrund der Menschenrechtslage unter anderem als „Krebsgeschwür des Weltfußballs“ bezeichnete, klagte der katarische Fußballverband. Zum Glück erfolglos.