Der Passus „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gem. Paragraf 129 StGB dar!“ wurde allerdings mittlerweile von der Infoseite der bayrischen Polizei wieder entfernt, die Staatsanwaltschaft räumt ein, eventuell etwas vorschnell geurteilt zu haben. Der Schaden ist aber bereits angerichtet, und es ist umso bedenklicher, dass Teile der Bundesregierung der CSU-Staatsanwaltschaft unmittelbar nach Bekanntgabe der Ermittlungen zur Seite eilten und ihre schwachsinnigen Aussagen auch noch wiederholten – so in Form der Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die ihre erhoffte politische Karriere in Hessen damit hoffentlich beerdigt haben wird.
Hoffentlich.
Denn es verschiebt sich gerade wieder einmal ein sogenanntes Overton-Fenster: Der Begriff geht auf den US-amerikanischen Anwalt Joseph P. Overton (1960-2003) zurück und beschreibt allgemein die innerhalb eines ‚Annehmlichkeitsfensters‘ gesellschaftlich akzeptierte Diskursform über politische Belange. Akteure außerhalb dieses Fensters versuchen, das Fenster weiter für ihre Ansichten zu öffnen oder dahingehend zu verschieben, indem die Öffentlichkeit wiederholt mit ihren Ansichten konfrontiert wird – bis sich nach und nach ein gewisser Grundkonsens des Gedankens manifestiert. Das ist in Sachen Menschenrechten, Umweltschutz, Feminismus, Antirassismus oder Rechten von Menschen aus den Bereichen LGBTQIA+ auch dringend notwendig und hier wurden viele Overton-Fenster in eine positivere Richtung verschoben. Dasselbe macht unter anderem auch die Klimaschutz-Bewegung.
Leider trifft man aber in letzter Zeit eher von der anderen, radikaleren rechten politischen Ecke auf das Phänomen. Denn hier werden meist durch populistisch überzogene Aussagen und Forderungen, ständigem Benutzen radikaler Vokabularien die öffentliche Meinung und Wahrnehmung so lange torpediert, bis sich ein gewisser Abnutzungseffekt sowie Akzeptanz einstellt. Trump, Bannon oder Höcke mögen da für populäre Beispiele herhalten.
Aber es geht auch viel direkter aus der ‚Mitte‘ der Gesellschaft: Wenn man den Begriff ‚Klima-RAF‘ etwa wie Friedrich Merz wieder und wieder mit Klima-Protesten in Verbindung bringt, mag das anfangs überzogen und schockierend wirken. Je öfter und länger dieser Begriff aber – neben ‚Terror‘ und ‚Straftäter‘ – weiter benutzt wird, verfängt er in den Köpfen der Menschen und wird bald von vielen selbst benutzt. Das Overton-Fenster wurde erfolgreich verschoben. Eben dieses geschieht gerade mit der versuchten Kriminalisierung der Letzten Generation.
Wenn wir als Gesellschaft nicht höllisch aufpassen, wird sich der Diskurs über die Betrachtung dieses wichtigen Protestes in Richtung öffentliche Gefahr und Terror-Empfinden verschieben. Dann haben CSU, Schwester CDU und übrigens auch die AfD, was sie wollen, dann wird auch der Begriff ‚Öko-Terrorist‘ vollends salonfähig. Und am Ende dürfen Menschen, die sich aus Protest auf Straßen festkleben, mit der RAF verglichen und ebenso verfolgt werden – sind ja alles ‚linke Spinner‘. Genau hier befinden wir uns aber bereits und man muss darum bangen, wie die Entwicklung sich fortsetzt.
Denn wenn der aktuelle Fall momentan vordergründig auch ’nur‘ machtpolitisch als Wahlkampfthema eingesetzt werden mag – es verschiebt die öffentliche Betrachtung eines Themas, dass durch überhitzte und überzogene Autofahrergemüter ohnehin schon schief ist, in eine gefährliche Richtung, die weit über die Problematik der Kriminalisierung von Klimaschutz-Protesten hinausgeht. Sie droht, an den Grundfesten demokratischer Prinzipien zu rütteln, was freie Meinungsäußerung und Demonstrationsrecht anbelangt. Und das kann sich letztendlich auf alle Ausprägungen von Protest ausweiten, vom Klima-Schutz bis hin zum Arbeitskampf.
Der Name der beiden großen christlichen Parteien in Deutschland hat sich mit dieser Aktion schlussendlich wieder als ein einheitlicher geoutet: CU. Denn weder das D für Demokratisch und erst recht nicht das S für Sozial sind Begriffe, die in irgendeiner Weise noch mit dieser politischen Brandstiftung zu tun haben. Nicht nur befeuern sie ihr Parteiklientel, sich weiterhin aggressiv Klimaschützern und Co. gegenüber zu verhalten, sondern sie radikalisieren auch den Rest der Gesellschaft, der durch die ein oder andere Aktion der Letzten Generation mittlerweile auch latent genervt sein mag.
Aktuell können ‚Klima-Kleber*innen‘ vermutlich noch froh sein, ’nur‘ beschimpft zu werden oder ’nur‘ eine Flasche Wasser über den Kopf geschüttet zu bekommen. Wenn aber die Politik weiterhin die öffentliche Meinung in diesem Maße in Richtung Kriminalisierung vorantreibt, gibt es hier vielleicht auch bald Schlimmeres auf den Straßen zu sehen.