4 Tage Arbeit macht alles besser – oder?
Brauchen wir also eine 4-Tage-Woche? Ist sie eventuell längst überflüssig? Oder ist das das Geraune einer realitätsfernen Arbeitnehmerinitiative, die weder den Sinn des Ökonismus noch die Fakten von Arbeitskräftemangel verstanden hat? Bei aller Kritik scheinen die Zahlen für eine Arbeitszeitverkürzung zu sprechen, wenn vielleicht auch nicht sofort flächendeckend, sondern anfangs branchenspezifisch angepasst – dazu muss in vielen Bereichen auch erst der Fachkräftemangel behoben werden, obgleich hier kürzere Arbeitszeiten einen Wettbewerbsvorteil bei der Suche beschereren könnten. Und vermutlich müssen hierzu in Deutschland auch erst Modellversuche und Projekte ins Leben gerufen werden, damit das Prinzip größeres öfentliches Interesse weckt.
Letztlich dreht sich diese Thematik aber im Kreis um ein ganz anderes Problem:
Eine populärmedial oft zitierte Phrase – die auf Charles Beaudelaire zurückgeht – besagt, dass der beste Trick des Teufels jener war, die Menschheit glauben zu machen, dass es ihn nicht gäbe. Etwas Ähnliches ließe sich auch über den Kapitalismus sagen: Der beste Marketingtrick des Kapitalismus besteht darin, uns glauben zu machen, dass es keine Alternative zu ihm gäbe. Demokratie und freie Marktwirtschaft mit (natürlich kräftigem) Wachstum sind untrennbar miteinander verbunden und deshalb kann es für unsere Vorstellung von freien, sicheren und zufriedenen Gesellschaften auch keinen anderen Weg geben – so die Sage. Demnach wären Forderungen wie eine deutlich verkürzte Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auch kontra’produktiv‘, hört man auf die Stimmen aus der Interessenvertretretung der meisten Unternehmensleitungen.
Was wahr ist: Solange wir diesem fukuyama’schen Narrativ verschrieben und verhaftet bleiben und uns nur mit Fragen der Ausgestaltung im Rahmen der aktuellen ökonomischen Ideologie beschäftigen, werden wir auch mit Konzepten wie der 4-Tage-Woche lediglich Symptombekämpfung betreiben. Und eines der Kernprobleme unserer Zeit nicht an der Wurzel anpacken – das Wachstum. Denn das Wachstum ist es, dass uns die Ressourcen unseres Planeten ausbeuten lässt, dass uns immer arbeitsverdichteter und selbstausbeutender ins Büro, die Fabrik, in die Schulen, Krankenhäuser oder auf die Baustellen hetzen lässt, sodass unsere ‚Freizeit‘ letztlich nur noch dem Auskurieren von Erschöpfung dient, und das uns mit dem Märchen vom Trickle-Down-Effekt die Karotte vor der Nase haltend einfach weiter Richtung Kollaps führt. Individuell – national – global.
Politisch ist das alles längst bekannt, die Berichte der Enquete-Kommission des Bundestags zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität haben bereits vor zehn Jahren dringendst empfohlen, soziale Handlungsfähigkeiten und politische Gestaltungskraft gegen unnachhaltige Partikularinteressen zu stärken. Wenn es nicht gelänge, gesamtgesellschaftlich, konsensbasiert als kollektive Identität einen Umbau zur Nachhaltigkeit zu gestalten, der Fortschritt auch jenseits von Wachstumszwängen möglich mache, dann zerfiele die Gesellschaft in zwei Lager: Einerseits in marktgesteuerte Wachstumsbefürworter, die auf die eindeutig doppeldeutigen Entfesselungskünste von Technik und Wirtschaft vertrauten, und andererseits pluralistisch-emanzipierte Widerständler gegen die technisch-ökonomische Modernisierung, die zwar viel Blockade-, aber wenig Veränderungskraft besäßen.*
Zehn Jahre sind vergangen – wie recht die Enquete-Kommission leider mit ihrer letzten Befürchtung behalten sollte: Denn wir befinden uns ziemlich genau in dieser prognostizierten polarisierten Gesellschaft. Beziehungsweise befinden uns immer noch darin, denn weder zunehmende Auswirkungen der Klimakatastrophe noch die Corona-Pandemie haben uns zusammenwachsen lassen. Im Gegenteil.
Eine 4-Tage-Woche kann also nicht die Lösung sein. Aber sie kann der Anfang einer sich wandelnden Gesellschaft werden, die nachhaltiger mit sich und ihrer Umwelt umgeht. Das wird nicht Utopia und das wird nicht Keynes mit seiner Prognose der 15-Stunden-Woche.
Aber wandeln muss es sich.
*Schlussbericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität–Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“, Berlin 2013, S. 749.