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So grün, die Gerichtsbarkeit?
So grün, die Gerichtsbarkeit? Quelle: IGH

Der IGH und die Klimagerechtigkeit

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) hat ein Gutachten zur Strafbarkeit von Klimaschäden veröffentlicht, wonach Staaten für ihren Anteil am menschengemachten Klimawandel haftbar gemacht werden können. Das ist ein juristisches Erdbeben für die Weltgemeinschaft. Ob es auch tatsächlich etwas bewirkt, ist eher fraglich.

Eines vorweg zur Klärung, damit keine Unklarheit über ein zentrales Element in Fragen des Klimawandels besteht: Das von Politik und Wirtschaft gern zitierte „1,5-Grad-Ziel“, also die Begrenzung der Erderwärmung um maximal 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit, ist Geschichte. Dieses Ziel ist verfehlt und war ohnehin eine utopische Schönfärberei von Staaten, die sich und der Weltöffentlichkeit in Lippenbekenntnissen Märchenerzählungen von Nachhaltigkeit auf Klimakonferenzen erzählten. 2024 war spätestens allen Beteiligten klar, dass wir uns bereits in einer Erwärmungsphase von 1,6 Grad und mehr bewegen. Die internationalen Bemühungen reichen also nicht aus, um aktiver gegen den menschengemachten Klimawandel und die daraus resultierenden Folgen vorzugehen. Auch vor diesem Hintergrund wird die Dringlichkeit verständlicher, mit denen sich nun die internationale Gerichtsbarkeit damit auseinandersetzt.

Eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt ist Menschenrecht: Das hat der IGH in einem Gutachten bekannt gegeben. Das bedeutet, dass Staaten in Zukunft potenziell haftbar gemacht werden können, wenn andere Staaten Klimaschäden erleiden. Das Nichteinhalten von internationalen Verträgen zum Klimaschutz bricht also laut Gutachten das Völkerrecht. Initiator für das Gutachten war der Inselstaat Vanuatu, der als eines der gefährdetsten Länder geht, wenn es um Klimawandel, damit verbundende Extremwetterereignisse und natürlich auch steigende Merresspiegel geht. Vanuatu könnte, wie etwa auch die Malediven, bei einer sich im aktuellen Tempo forsetzenden Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts komplett unbewohnbar geworden sein. Solche Länder könnten dann die großen CO²-Emittenten wie die USA, China oder auch Deutschland vor dem IGH verklagen. Wenn ganze Länder verschwinden und Zigtausende Menschen obdachlos werden, geht es also um große Prozesse, große Strafen und immense Konsequenzen. Doch nicht nur die Strafbarkeit ist hier Thema, sondern auch die daraus folgende Logik, noch stärker proaktiv Klimaneutralität im eigenen Land voranzutreiben, damit es gar nicht erst zu den extremsten Auswirkungen und damit verbundenen potenziellen Klagen kommt. Länder wie Deutschland können sich dann auch nicht mehr hinter Merz’schen Schutzbehauptungen verstecken, Einzelinitiativen brächten nichts. Zumal Europa mit seinen einheitlichen Regelungen und Emissionshandelsabkommen als Vorreiter im internationalen Klimaschutz angesehen wird. Dieses IGH-Gutachten könnte eine der wichtigsten Weichenstellungen der Neuzeit sein, was internationale Prozesse anbelangt. Klimagerechtigkeit ist damit ein wenig wahrscheinlicher geworden.

Oder?

Zumindest, wenn sich alle Beteiligten an Recht und Gesetz halten. Das Problem internationaler Gerichte war schon immer, dass sie nie geschlossen von der Weltgemeinschaft anerkannt wurden oder sie nur dann als wichtig und weisungsbefugt angesehen wurden, wenn man selbst nicht betroffen war. Die USA beispielsweise sind nicht unter den Staaten, die eine sogenannte Unterwerfungserklärung an den IGH abgegeben haben. China auch nicht, auch nicht Russland, Brasilien, Südafrika oder Israel. Auch Frankreich nicht; Deutschland hingegen schon, wie auch der große Rest Europas. Das Dilemma internationaler Gerichtsbarkeit offenbart sich jüngst am Fall des Haftbefehls gegen den israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu, der vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ausgegeben wurde und an den sich selbst die Staaten nicht halten, die den Gerichtshof anerkennen – Deutschland etwa.
Wird dieses Gutachten die Bundesrepublik verändern? In Zeiten, in denen die Menschen unter dem Eindruck von Starkregen im Juli die Trockenheit und Hitzetoten im Monat davor vergessen zu scheinen haben? In Zeiten, in denen Merz, Reiche und Co. schon deutlich gemacht haben, was sie vom Klimaschutz halten? Positiv gesagt, der Einfluss wird vielleicht marginal sein. Aber die Wirtschaft muss boomen, Sozialstaat, Klimaschutz und Bildung müssen hintenanstehen. Dass mit einer SPD unter Lars Klingbeil, die opportunistisch hinterherrennt, um irgendwie Mitgestaltungsmacht zu behalten, kein Gegengewicht in der Regierung exisitert, ist leider auch allzu bezeichnend für den Zustand dieser Partei. Ja, Verfassungsklagen in Fragen von Klimagerechtigkeit könnten nun mehr Gewicht bekommen. Aber was, außer jahrelanger Verhandlungen, die in weiteren Urteilen und noch mehr Lippenbekenntnissen münden, haben wir zu erwarten? Die Politik rennt besonders von Seiten der Unions-Parteien seit Jahren den Rechtspopulisten und der Springer-Presse hinterher. Diese haben spätesten seit der Pandemie das Diskussionsklima in der Bundesrepublik dermaßen vergiftet, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bürger*innen und damit der Wähler*innen in diesem Land die Themen Klimawandel, Biodiversität, Artensterben oder Dürre nicht mehr hören will, nur „Meinungsdikatur“ schreit und am liebsten demonstrativ mit dem SUV die 50 Meter zum Bäcker fährt. Solche Menschen wollen auch den Unterschied zwischen Klima und Wetter nicht verstehen oder meinen, lokale, kurzzeitige, monsunartige Regenfälle würden irgendetwas an der allgemeinen Dürre in Europa verändern. Wer sich vom ‚linksgrünversifften‘ Dogma befreit fühlt, weil Habeck und Co. nicht mehr Teil der Regierung sind, macht mittlerweile mit großer Wahrscheinlichkeit sein Kreuz bei der AfD. Der Klimawandel ist einem großen Teil der Menschen egal geworden.
36 Grad im Juni? Wird als normal angesehen.
Eskalierende Waldbrände in Brandenburg? Weit weg.
Ahrtal-Flutkatastrophe? Lange her.
Und mit großer Wahrscheinlichkeit wird diese bewusste Ignoranz in Deutschland selbst dann noch anhalten, wenn in den Niederlanden die ersten Deiche brechen – oder Emden unter Wasser steht. Wahrscheinlich wird es Zeit, dass hier endlich einmal langfristig die Lichter ausgehen, damit überhaupt irgendetwas passiert.
Das ist der Zustand Deutschlands Mitte 2025.
In diese Realität hinein kommt ein neo-liberaler Kanzler Merz, dem Klimaschutz egal ist – das Klimaschutzgesetz der aktuellen Bundesregierung ist in seinen Zielen verwässert und damit laut der Klimajuristin Roda Verheyen rechtswiedrig. Verheyen fordert auch, den EU-weiten Streit um das 2040-Ziel zu beenden und sich an die empfohlenen Maßnahmen der wissenschaftlichen Gremien zu halten. So lange dieses Hickhack national wie international aber nicht beendet ist, kann man sich vorstellen, wie ernst die aktuell gestaltenden Politiker das IGH-Gutachten nehmen werden. Die einzige Hoffnung bestünde hier in einem internationalen kollektiven Korrektiv, dass sich gegenseitig auf die Finger schaut. Die EU sollte im kontinentalen Kontext eigentlich so etwas sein. Aber sie verliert sich in so vielen anderen Diskursen, Sollbruchstellen und Störfaktoren: Der Brexit, die Kriege und ihre Putin-Freunde, die Rechtspopulisten und Faschisten, die quer durch Europa gerade politische Gestaltungsmacht erhalten oder bereits haben, torpedieren seit Jahren eine einheitliche Klimapolitik. Dass die größten wirtschaftlichen Partner der EU, China und die USA, überhaupt kein Interesse an internationalen Verpflichtungen oder gar einer Gerichtsbarkeit haben, die sie in Verantwortung ziehen könnte, macht eine nachhaltige Wirkung des völkerrechtlichen Aspekts von Klimaschutz nahezu unwahrscheinlich.

Die ganz persönliche Laienthese ist diese: Ja, es werden zukünftig verstärkt Klagen vor dem Internationalen Gerichtshof gegen jene Länder eingehen, die sich nicht an internationale Klimaabkommen halten. Das wird sich vermutlich ändern. Es werden auch vermehrt Klagen auf Schadensersatz werden von jenen Ländern kommen, die durch Flutkatastrophen, Dürren oder Waldbrände am stärksten leiden – grob gesagt, der globale Süden gegen den Norden. Und besonders die westlichen, europäischen Industriestaaten werden allein durch ihre immer noch vorhandene bilaterale Sicht auf internationale Politik alles in ihrer juristischen Macht Stehende tun, um eben nicht Milliardensummen an Schadensersatz zahlen zu müssen. Sie werden außenpolitisch kleine Geschenke verteilen und innenpolitisch weiter mit Wirtschaftswachstum, Wohlstandserhalt und Migrationsdebatten die Tagespolitik zu bestimmen versuchen. In dieser Hinsicht wird sich nichts ändern. 

Nichtsdestotrotz: Das IGH-Gutachten ist ein wichtiger Schritt, und der Dank für die Resilienz und das Durchhalten, damit es überhaupt zu diesem Gutachten kommen konnte, gilt besonders den Studierenden-Initiativen aus Vanuatu und allen anderen der am schlimmsten Betroffenen, die sich wieder und wieder für ihr Recht einsetzen, internationale Klimagerechtigkeit zu erfahren. Denn diese Menschen werden sehr warscheinlich in absehbarer Zeit ihre Heimat verlieren.
Am Ende wird es vermutlich der Globale Süden sein, der der Menschheit den Kopf aus der Schlinge der Klimakatastrophe mit all ihren Folgen zieht.
Und wir, die Industriestaaten, die wir die Hauptverantwortlichen für diese Misere sind, werden die Lorbeeren für diese Kraftanstrengung einfordern.

Weiteres zum Thema:
Hitze, Kriege, Geld & KI – Time is up – Vortrag von Dr. Mark Benecke vor dem EU-Parlamaent Juli 2025
Einschätzung des IGH-Gutachtens von Klimafolgenforscher Ottmar Edenhofer
Bye-bye 1,5 Grad? Die unbequeme Wahrheit – Terra X Lesch & Co
 

Andreas Klöpping

  • Juli 24, 2025
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24. Juli 2025

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