Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitslüge in der Industrie
Wer hat nicht schon einmal beherzter in einen Schokoriegel gebissen, weil die Verpackung ein Fair-Trade-Siegel für Kakao enthielt oder den morgendlichen Kaffebecher bewusster genossen, wenn die Bohnen von bio-zertifiziertem Plantagenanbau stammten? Und wer fühlt sich nicht einfach besser, wenn der Automobilhersteller des Vertrauens mit Förderprojekten in Dritte-Welt-Ländern und CO²-neutraler Stahlerzeugung wirbt?
Leider verbirgt sich hinter diesen unzähligen Siegeln, Zertifikaten und ökologischen wie sozialen Heilsversprechen teils nichts anderes als Profitgier.
Umweltschutz ist seit Jahren in: Überall wird für Senkung von CO²-Ausstoß geworben, recyclebares Plastik als die Lösung unseres Müllproblems propagiert, bio-regionale Lebensmittel füllen zunehmends die Regalfächer der Supermärkte. Ein Bewusstsein für Umweltfragen scheint angekommen zu sein, obgleich auch hier noch massive Fragen offen bleiben (etwa, was die Finanzierbarkeit dieses Lebensstils anbelangt).
Was aber machen die Unternehmen? Sie werben, hauptsächlich. Mit nachhaltig angebauten Rohstoffen, tollen Förderprojekten für junge Menschen in der südlichen Hemisphäre oder selbstauferlegten harten Nachhaltigkeits-Kriterien im und um das Unternehmen herum. In Europa gibt es dazu mittlerweile eine Offenlegungsverordnung im Rahmen der EU-Taxonomie, die einen rechtlichen Rahmen für sogenannte ESG-Kriterien schafft:
Environmental, Social and Governance soll also eine Art Qualitätskontrolle bedeuten, wenn es um Nachhaltigkeitskriterien wie Umwelt, Soziales und Unternehmensführung geht. Unternehmensberatungen empfehlen mittlerweile sogar dringend, diese Kriterien in die Konzern-Philosophie mit einzubinden, da es KonsumentInnen, AnlegerInnen und InvestorInnen positiv stimmt. Also alles gut?
Mitnichten.
Je größer der Sozialkatalog eines Unternehmens, desto größer der ökologische und soziale Fußabdruck auf diesem Planeten.
Dieser Satz ist leider keine Binsenweisheit, sondern immer wieder traurige Realität, wenn Großunternehmen auf ihre tatsächliche soziale und/oder ökologische Verträglichkeit abgeklopft werden. An vorderster Front stehen hier meist die Lebensmittelkonzerne, weil sich der Verbrauch von Ressourcen wie Kakao, Palmöl oder Wasser eben direkt in den Konsumgütern wiederspiegelt – und weil Konzerne wie Nestlé, Unilever oder Mondeléz ganz besonders aggressiv mit ihren Nachhaltigkeitskatalogen hausieren gehen.
„SNACKING MADE RIGHT“ hat sich etwa Mondelez in schreienden Großbuchstaben direkt ins Firmenlogo eingebrannt. Eine der ersten Themenseiten auf der Homepage sind soziale Projekte, ökologische Verantwortung und unzählige Beweise, Zertifikate und Partnerschaften mit NGOs, die bezeugen, warum und weswegen dieser Konzern so eine unfassbar freundliche, fördernde und, natürlich, unterstützenswerte Adresse ist, wenn es um den Konsum von leckeren Snacks wie Keksen, Schokolade oder Frischkäse geht. In der Realität brennen bspw. in indonesischen Regenwäldern monatliche Flächen von über 300.000 Hektar ab, um Platz für Palmöl-Monokulturen zu schaffen. Allein 2019 sollen laut Greenpeace fast eine Million Menschen Atemwegserkrankungen durch diese Brände erlitten haben. Die Lebensgrundlage Tausender Lebensformen, Mensch wie Tier, wird vernichtet, damit Firmen wie Mondelez ein paar Milliarden Umsatz mehr im Jahr machen können.
Nestlé bekleckert sich ebensowenig mit Ruhm. Von den zweifelhaften Privatisierungspraktiken von Trinkwasser, deren rezentestes Beispiel in Flint in den USA nur die Spitze des Eisbergs ist, wirbt der Konzern seit einiger Zeit mit einem Nachhaltigkeitsversprechen, was die Unmengen an Plastikmüll betreffen, die jährlich weltweit durch Nestléprodukte erzeugt werden: Bei einem Beach Cleanup auf den Philippinen 2017 etwa trugen 17% des gesammelten Mülls das Logo des Schweizer Lebensmittel-Giganten. Bis 2025 will Nestlé nun vollumfänglich auf Recycling-Plastik umstellen und verkauft das Ganze als große Nummer und Verantwortungsbewusstsein in Umweltfragen. Dass einer der größten Plastikmüllproduzenten der Welt erst 2018 auf die ‚geniale‘ Idee kam, man könnte ja in Sachen Recycling mal ein paar Statements abgeben und dann auch noch erwarten, für ein unterm Strich unnachhaltiges Verpackungskonzept Applaus zu bekommen, ist Greenwashing vom Feinsten.
Doch nicht nur die Lebensmittelindustrie steht in der Kritik. Das jüngste Beispiel für Greenwashing hier in Deutschland, das vermutlich auch noch eine ganze Stange Arbeitsplätze kosten wird, findet sich bei Siemens: In Nürnberg demonstrierten Anfang Februar 2022 Angestellte und IG Metall gegen die Ausgliederung der Großmotoren-Sparte LDA. Large Drives Applications produziert Motoren und Umrichter für den Bergbau sowie für die Öl-, Chemie- und Gasindustrie. Alles Industriezweige, die nicht nach Nachhaltigkeit klingen. Verständlich also, dass Siemens sich dieses unangenehmen Bereichs möglichst geräuscharm entledigen will, sind doch die Pressemitteilungen auf der Firmenhomepage ansonsten hauptsächlich vollgepackt mit Spendenaktionen, Startupförderung in Sachen Nachhaltigkeit und knuddeligen Roboterwettbewerben für Kinder.
Tatsächlich befürchtet der Betriebsrat in Nürnberg aber, dass LDA nach der Ausgliederung verkauft und allein am bayrischen Standort bis zu 300 Arbeitsplätze bedroht sein könnten – weil Siemens sich lieber mit grüneren Themen schmücken will. Greenwashing durch die Hintertür.
Dabei gibt es mittlerweile Studien, die belegen, dass Werben mit nachweisbar falscher/vermeintlicher Nachhaltigkeit mehr als rufschädigend für Konzerne ist – bei KonsumentInnen wie bei AnlegerInnen. So hat eine Untersuchung der University of Toronto 2021 gezeigt, dass neben der Kritik an entsprechenden Unternehmen auch das allgemeine Misstrauen gegenüber Nachhaltigkeitsversprechen aus der Industrie erhöht. Unterm Strich sinke dadurch auch die Bereitschaft, sich allgemein für Themen wie Umweltschutz und sozial verträgliche Abreitsbedingungen zu engagieren.
Nachhaltigkeit muss demnach genau das sein: Nachhaltig, ernst gemeint und nicht orientiert an Profitinteressen. Dass die erwähnte EU-Taxonomie dafür einen Rahmen schaffen will, mag zwar ehrenhaft erscheinen, bleibt aber eine leere Hülle, solange Art und Umfang von ESG-Labels von den Firmen selbst nach Lust und Laune bestimmt werden können. Hier sind nun unter anderem auch die Betriebsräte gefragt, diese Themen verstärkt auf die Agenda zu bringen, wenn es um betrieblichen Umweltschutz geht.