Wie die Entscheidung eines kleinen Inselstaats die Welt verändern könnte
Der Juni 2021 könnte als der Monat in die Geschichte der Menschheit eingehen, in der wir die letzte Grenze zur Ausbeutung unseres Planeten überschritten: in die Tiefsee. Denn der Pazifikstaat Nauru hat im Juni die International Seabed Authority (ISA) über seine Pläne informiert, in den nächsten zwei Jahren Ausschreibungen zu Schürfrechten in den Tiefen des Ozeans durchzuführen. Das kann gravierende Folgen für die weltweite Meeresökologie haben – und damit uns alle schädigen.
Die International Seabed Authority (ISA) ist ein UN-Gremium aus 167 Staaten mit Sitz in Kingston, Jamaika und besteht seit 1994. Sie überprüft, inwieweit weltweite Vorkommen an Mangan, Kupfer, Kobalt und anderen Ressourcen auch in den tiefsten Regionen der Weltmeere für die Menschheit nutzbar gemacht werden können. Sie ist u.a. für die rechtlichen sowie technologischen Belange zuständig und damit erste Ansprechpartnerin für jene Staaten, in deren Hoheitsgewässer sich solche Vorkommen befinden.
Es ist eine gern genutzte Floskel, dass die Oberfläche des Mondes besser erforscht sei als die Tiefsee unserer Erde. Und sie ist nicht falsch: Bis knapp 11.000 Meter reichen die Tiefseegräben unserer Weltmeere hinab, in den lichtlosen Zonen herrschen teils gigantische Drücke, große Kälte und Weiten, die in der Tat bislang von nur wenigen Menschen gesehen und besucht wurden. Die Forschungslage zu diesen Regionen ist dünn, es werden immer wieder neue Lebensformen entdeckt. Eine scheinbar unwirtliche, kalte Welt wimmelt vor Leben.
Viel interessanter scheint für die Menschheit aber das, was darunter liegt: In den Böden der Tiefsee liegen gigantische Vorkommen an Bodenschätzen, die bislang unerreichbar schienen. Das könnte sich in absehbarer Zeit ändern, denn die Insel Nauru will in Kooperation mit einem kanadischen Minenkonsortium nun die Tiefseezonen rund um die Insel nach Kupfer und anderen Rohstoffen absuchen.
Jahrzehntelang war das kleine Land mit seinen knapp 11.000 Einwohnerinnen eines der reichsten Länder der Erde, denn die großen Phosphatvorkommen auf der Insel bescherten Nauru lange ein Pro-Kopf-Einkommen jenseits der 50.000 US-Dollar. Nach dem Jahr 2000 aber waren die Vorkommen weitestgehend erschöpft, das Land verarmte, der hohe Lebensstandard sank und die vielen staatlichen kostenlosen Dienste verschwanden. Nauru sah sich plötzlich mit massiver Überschuldung konfrontiert und suchte nach neuen Einkommensquellen, es wurde zum Steuerparadies für Schein- und Briefkastenfirmen, die Korruption stieg. Zwar sind auch neue Phosphatvorkommen erschlossen worden, doch das Land braucht mehr. Ackerbau und andere Formen der Landwirtschaft sind durch den jahrzehntelangen Raubbau unmöglich geworden, Nauru ist ökologisch zerstört.
Daher locken die Erze unter dem Meer. Besonders in der jüngeren Vergangenheit pochten immer mehr Minenkonsortien auf die Wichtigkeit dieser schwer erreichbaren Bodenschätze. Sie seien unumgänglich für die grüne Wende in der Industrie, denn die Rohstoffe würden für E-Auto-Batterien oder auch Windkraftanlagen benötigt. Daher wundert es kaum, dass in den Rechts- und Technikgremien der ISA auch fast ausschließlich Verantwortliche aus der Industrie sitzen, unter anderem auch aus Deutschland. Das Gremium arbeitet langsam, abschließende Regularien zum Schürfrecht in der Tiefsee gibt es kaum. Dazu sind in dem 30-köpfigen Team aus Ingieuren, Anwälten und Geologinnen fast keine Biologinnen oder Umweltexperten vertreten, der Blick auf mögliche ökologische Auswirkungen ist damit schier unmöglich. Dabei ist gerade dieser bei einer Region wie der Tiefsee unabdingbar, denn die Konsequenzen der Zerstörung von Tiefseeböden, der Verklappung von kontaminiertem Abraum in den umliegenden Regionen sowie Lärmverschmutzung, die die Orientierung vieler Meereslebewesen massivst beeinflusst, ist in den dunklen, kaum erforschten Zonen der Ozeane kaum voraussehbar. Diese Bereiche der Tiefsee sind jedoch nicht abgeschlossene Systeme, sie sind über Nährstoffaustausch eng mit den darüber liegenden Meeresschichten verzahnt und bilden vermutlich das Grundgerüst für viele komplexe biodiverse Prozesse, deren letzte Ergebnisse wir nur an der Oberfläche mitbekommen. Ein Eingreifen in diese unbekannten Zonen, mit einer zu erwartenden Kontaminierung und (teilweisen) Zerstörung derselben, wird massive Folgen für die Biodiversität der ohnehin schon stark beeinflussten Weltmeere haben.
Es ist ein weiteres Experiment, das wir als Menschheit nicht eingehen sollten, so lange weder die Technik für solche Tiefen ausgereift, noch gänzlich erforscht ist, was dort unten alles lebt und inwieweit es (in)direkt mit uns verbunden ist. Die Zukunft scheint aber nunmehr auch hier düster zu sein, denn kurzfristiger Profit überwog schon immer Fragen der Nachhaltigkeit. Oder um es mit den Worten eines Greenpeace-Chefcampaigners zu sagen:
„We have never entered a frontier and not fucked it up more.“