Droht die Renaissance der Kernenergie*?
* Disclaimer: Im Artikel werden bewusst Begriffe wie Kernkraft und AKW nebeneinander benutzt: Während AKW (Atomkraftwerk) im Gegensatz zu KKW (Kernkraftwerk) als Begriff der Anti-Atomkraft-Bewegung benutzt wird, steht Kernkraft einerseits für die kommerzielle, zivile Nutzung, aber auch stellvertretend für den Forschungsbereich. Wir sprechen von AKWs, weil wir uns der Problematik der Nutzung von Kernspaltung zur Stromerzeugung bewusst sind und den Atomausstieg unterstützen. Jedoch befürworten wir gleichzeitig die Forschung an Fusionsreaktoren, wozu Kenntnisse und Erfahrung mit Kernkraft im Allgemeinen unumgänglich sind.
Die kurzfristigen Zusagen und Lippenbekenntnisse der teilnehmenden Staaten auf der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow verfehlen die gesteckten Ziele des Paris-Abkommens um Längen: Weder werden die kurzfristigen Ziele zur CO²-Emissionsreduktion bis 2030 erreicht werden, noch wird dadurch das langfristige Ziel von einer maximalen Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius bis Ende dieses Jahrhunderts realisierbar. Die Energiebranche steckt in einer Krise politischer, ökologischer, gesellschaftlicher und technologischer Natur. Die Diskussionen werden nun auch in Deutschland wieder laut(er), ob man eine abgeschriebene Erzeugerindustrie zurück ins Boot holt: die Kernenergie.
Auf lange Sicht werden Wind, Wasser, Solar und Biomasse allein den wachsenden Energiebedarf in diesem hochtechnisierten Land vermutlich nicht decken können. Verbrauchsreduktion ist politisch anscheinend schlecht vermittelbar, weil sie gesellschaftlich mit Verzicht gleichgesetzt wird – was wohl als eine unfassbare Zumutung angesehen wird. Von diesem sozialpsychologischen Dilemma abgesehen stehen wir als Gesellschaft jetzt vor der Frage, mit welchen Technologien wir unseren steigenden Energiebedarf decken werden.
Die schlechten Nachrichten von der COP26 bezüglich der Erreichbarkeit der Minimal-Klimaziele dürften daher hier und da für knallende Sektkorken sorgen: Manche Vorstandsvorsitzende bei EON, Vattenfall und Co. werden sich jetzt schon in klammheimlicher (Vor)Freude die Hände reiben, weil die Politik spätestens Mitte 2022 keine andere Möglichkeit mehr sieht, als Laufzeitenverlängerung für manche AKWs zu beschließen. Den Grünen als Mit-Regierungsverantwortliche würde eine solche Entscheidung das Genick brechen, die FDP würde es nicht beweinen.
Das Szenario ist düster, zugegeben, aber nicht undenkbar.
Ein Aspekt der Nutzung von Kernkraft, der nicht von der Hand zu weisen ist, ist die Funktion als Brückentechnologie zur Kernfusion, die als sauber und sicher gilt und vor allem keine strahlenden Abfallprodukte hervorbringt. In jenen Ländern, in denen Kernspaltung als Technologie gefördert wird, findet auch die vielversprechendste Forschung zum Thema statt: In den USA, wo jüngst erneute Durchbrüche verzeichnet wurden, und Frankreich, die mit dem im Bau befindlichen ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) den bis dato weltweit größten Forschungsreaktor besitzen. Auch Deutschland forscht intensiv, China wird in absehbarer Zeit wohl führend auf dem Gebiet werden.
Das Dilemma besteht darin, dass durch den Ausstieg aus der Kernenergie in einem breiten Spektrum auch Forschungsgelder sowie Expertise und Fachkräfte verschwunden sind. Das ist auch der Ökonomie geschuldet: Forschung bringt im Gegensatz zum Strommarkt kurzfristig kein Geld, sondern benötigt es. Gelöst werden kann und darf das Energieproblem aber nicht mit der einfachen Rückkehr zu AKWs und der damit verbundenen gesellschaftlichen Diskussion über Störfallrisiken, Endlagersuche und Generationenverantwortlichkeit. Vielmehr muss der Ausbau und die Forschung Erneuerbarer Energien weiter vorangetrieben werden. Die Politik muss weiterhin gefordert werden, wieder verstärkt in Forschungsreaktoren zur Kernfusion zu investieren. Es gibt in dieser Frage vermutlich keinen Königsweg, sondern nur integrierende Energiekonzepte.